„Leistung macht Schule“ wächst! So beginnt die Transferphase.

„Leistung macht Schule“ gibt das bisher gesammelte Wissen an viele Schulen weiter. Wer sich jetzt wie auf den Weg macht, erklärt Doktor Frederik Ahlgrimm von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Teamwork

Arnell Koegelenberg/peopleimages.com / Adobe Stock

Herr Ahlgrimm, das Wissen und die Erfahrungen von „Leistung macht Schule“ werden nun an viele Schulen weitergegeben. Was passiert da gerade genau?

Ahlgrimm: Bestimmte Lehrerinnen und Lehrer nehmen jetzt eine Multiplikatorenrolle ein (siehe Infokasten). Das heißt, sie organisieren sich mit neu teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen in Schulnetzwerken und sie tauschen sich dazu aus, wie Begabungsförderung mithilfe von „Leistung macht Schule“ im Schulalltag gut umgesetzt werden kann. An den bereits erfahrenen Schulen werden die Strategien und Werkzeuge der Initiative verankert oder neu eingeführt. Denn viele Lehrpersonen möchten auch andere Methoden an ihrer Schule umsetzen, an denen sie bisher nicht direkt mitgearbeitet haben.

Und was geschieht an den neu teilnehmenden Schulen?

Ahlgrimm: Dort findet in einem ersten Schritt eine Standortbestimmung statt. Die Lehrpersonen fragen sich: Wo werden an der Schule bereits Talente bei Schülerinnen und Schülern entdeckt und gefördert? Oft gibt es schon begabungsförderliche Strukturen, aber vielleicht nur in einigen Jahrgängen oder in einzelnen Fächern. Produkte von „Leistung macht Schule“ können Lehrerinnen und Lehrern dabei helfen, solche „Schätze“ zu entdecken. Gutes kann dann ausgeweitet und durch bestimmte neue Modelle ergänzt werden; und zwar genau so, wie es für die jeweilige Schule passt.

Multiplikatorin/Multiplikator

Die Lehrerinnen und Lehrer der an „Leistung macht Schule“ teilnehmenden Schulen haben in der ersten Phase der Initiative viel Erfahrung mit Schulorganisation, verschiedenen Unterrichtsformen und Aufgabenformaten gesammelt. Damit können sie die Begabungen von Kindern und Jugendlichen sichtbar machen und stärken. Sie wissen, welche Ansätze in der Praxis gut funktionieren und wie sie sie anwenden können. Dieses Wissen geben sie als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an die Lehrpersonen der in der zweiten Phase neu hinzukommenden Schulen weiter. Außerdem engagieren sich Fachkräfte aus den Landesinstituten und Qualitätseinrichtungen der Länder als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. So werden die Erkenntnisse aus der ersten Phase von „Leistung macht Schule“ von verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und aus mehreren Blickwinkeln vermittelt.

Das heißt, die neuen Lehrpersonen machen erst einmal eine Bestandsaufnahme von ihrer Schule. Und was kommt danach?

Ahlgrimm: Noch im laufenden Schuljahr sollte ein Austausch über das Begabungsverständnis und über den Begabungsbegriff an der Schule stattfinden. Das kann in einer Arbeitsgruppe, an einem pädagogischen Tag oder in Konferenzen geschehen. Es gibt ja nicht etwa die eine richtige Definition von Begabung, deshalb sollten sich die Beteiligten in einer Schule darüber verständigen, was genau sie damit meinen. Außerdem legen die Verantwortlichen dann bestimmte Arbeits- und Entwicklungsschwerpunkte für ihre Schule für die nächsten Jahre fest. Das klingt zwar nicht nach viel, ist aber im Einzelnen gar nicht so leicht umzusetzen.

Sie begleiten die Schulen auch wissenschaftlich. Wie arbeiten Sie mit wem zusammen?

Ahlgrimm: Wir qualifizieren und unterstützen vor allem die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Wir möchten die Produkte von „Leistung macht Schule“ und die erfolgreichen Arbeitsweisen über eine gut organisierte Netzwerkarbeit weitergeben. Das geschieht in einem Kaskaden-Modell, in dem die Informationen sozusagen wasserfallartig fließen: Zunächst informieren wir Forschenden die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, damit diese ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus der Initiative danach bestmöglich an ihre Kolleginnen und Kollegen – die erfahrenen wie die neuen – in den Netzwerken weitergeben können. So kommen viele Ideen und Anregungen an die Schulen.

Infografik zum Kaskadenmodell

Die Grafik verdeutlicht das Kaskadenmodell, über das die bewährten Strategien und die Produkte von „Leistung macht Schule“ weitergegeben werden. Sie zeigt, wie Informationen in beide Richtungen fließen: von der Wissenschaft in die Schulpraxis und umgekehrt. Der gestrichelte Kasten deutet die Schule an, in der Lehrpersonen und Schulleitungen mit ihren Schülerinnen und Schülern die Methoden der Initiative anwenden und weiterentwickeln.

Frederik Ahlgrimm

Das heißt, die eigentliche Entwicklung an den Schulen wird von den Multiplikatorinnen und Multiplikatoren angestoßen?

Ahlgrimm: Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass „Leistung macht Schule“ kein Paket ist, das einfach übergeben wird. Unsere Multiplikatorinnen und Multiplikatoren überlegen sich genau, wie sie ihr Wissen über Begabungsförderung und ihre Erfahrungen mit „Leistung macht Schule“-Produkten sinnvoll mit der nächsten Zielgruppe teilen. Dieses „Train the Trainer“-Modell ist der Kern unserer jetzigen Arbeit. Dabei dürfen wir natürlich bestimmte Inhalte nicht aus dem Blick verlieren. Derzeit steht für uns das Thema begabungsförderliche Schulentwicklung im Vordergrund, denn wir halten es für eine Grundvoraussetzung, dass Lehrkräfte und Schulleitungen zunächst gut analysieren und planen, was sie wie in ihrer Schule brauchen, um Begabungen besser erkennen und fördern zu können.

Besteht dabei die Gefahr, dass wichtige Informationen auf der Strecke bleiben, weil sie nacheinander von mehreren Menschen kommuniziert werden?

Ahlgrimm: Ich gehe davon aus, dass am Ende dieser Informationskette nicht exakt das ankommen wird, was am Anfang hineingegeben wurde. Aber darauf schaue ich positiv, weil wir es mit Profis an allen Stellen zu tun haben, die das weitergeben werden, was für die jeweils Nächsten in der Kette wichtig ist. In meinen Augen ist es gut, dass unsere Themen in mehreren Köpfen umgewälzt, reflektiert, ergänzt und dann aktiv weitergegeben werden. So können auch neue Fragen entstehen, die die Entwicklung vorantreiben.

Wie unterstützen Sie als Wissenschaftler die Lehrpersonen dabei?

Ahlgrimm: Wir erörtern mit den Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, wie sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen über die „Leistung macht Schule“-Themen ins Gespräch kommen und Entwicklungsprozesse anstoßen. Und genau dieser Schritt muss gelingen, damit „Leistung macht Schule“ in der Transferphase erfolgreich sein kann. Aus unseren Studien und Beobachtungen wissen wir, mit welchen Instrumenten das gut geht. Und die geben wir den Lehrpersonen an die Hand. Wir treffen uns dazu sowohl virtuell als auch vor Ort. Zudem wird es Sprechstunden geben, in denen wir unsere direkte Hilfe anbieten.

Deutschlandkarte mit Regionalzentren

Die Deutschlandkarte zeigt die Einteilung in fünf Regionalzentren. Vor allem über die Regionalzentren unterstützen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Schulen bei ihrer Entwicklungsarbeit.

LemaS-Forschungsverbund

Regionalzentrum

Für den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis gibt es in der zweiten Phase von „Leistung macht Schule“ Regionalzentren des Forschungsverbundes. Darüber unterstützen Forschende die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bei ihrer Arbeit in den Schulnetzwerken. Dabei achten sie auf regionale Unterschiede in der Bildungslandschaft. Doktor Frederik Ahlgrimm leitet zusammen mit Professor Hans Anand Pant das Regionalzentrum Ost, das für die Länder Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie Teile Niedersachsens zuständig ist.

 Warum ist eine wissenschaftliche Begleitung für die Schulnetzwerke wichtig?

Ahlgrimm: Es ist gut, wenn zwei Perspektiven zusammenkommen. Lehrerinnen und Lehrer können ihrem Kollegium am besten zeigen, wie es erfolgreich möglich ist, im Schulalltag Begabungen bei ihren Schülerinnen und Schülern zu fördern. Hin und wieder ist es aber auch hilfreich, mit wissenschaftlicher Distanz auf Schule zu schauen und Erkenntnisse aus der Forschung zu nutzen. Die unterschiedlichen Einschätzungen aus Praxis und Wissenschaft ergänzen sich dabei sehr produktiv. Jede Schule ist wie ein eigenständiges Land, mit einer eigenen Sprache und einer eigenen Logik. Genau dafür können wir viele verschiedene Ansätze und Modelle anbieten. Dabei muss jedes Konzept, das wir geben, an der jeweiligen Schule angepasst und weiterentwickelt werden, damit es auch wirken kann.

Bei dem ersten Treffen des Regionalzentrums Ost sind Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus sechs Ländern zusammengekommen. Was war aus Ihrer Sicht das Wichtigste bei der ersten Begegnung?

Ahlgrimm: Wir haben versucht, einen gemeinsamen „Spirit“ von „Leistung macht Schule“ zu kreieren. Wir haben gezeigt: Wir alle haben schon Erfahrung mit Begabungsförderung gemacht. Daraus können wir zusammen etwas Größeres entstehen lassen, das aber in den jeweiligen schulischen Kontext passt. Lehrpersonen und Schülerschaft können gleichermaßen davon profitieren. Natürlich beeinflusst der Lehrkräftemangel die Arbeit in den Schulen. Aber wir sehen, dass selbst mit beschränkten Ressourcen oft mehr umsetzbar ist, als wir zunächst denken. Den Blick dafür zu öffnen, das war unser Ziel.

Mit welchen Produkten haben Sie bei diesem ersten Treffen schon gearbeitet?

Ahlgrimm: Mit der „Leistung macht Schule“-Toolbox. Darin finden Lehrpersonen auf 27 Impulskarten konkrete Schritte, Tipps und Anregungen, um ihre Schule weiterzuentwickeln zu einem Ort, an dem Talente von Schülerinnen und Schülern sichtbar gemacht und gezielt gefördert werden. Auf dem Treffen haben wir eine Impulskarte aus der Toolbox benutzt, mit der bereits vorhandene Begabungsförderung sichtbar gemacht werden kann.

Und wie macht die Impulskarte bestehende begabungsförderliche Ansätze an Schulen sichtbar?

Ahlgrimm: Die Karte leitet Gespräche dazu an. Mit Fragen wie: „Wie hast du in deinem Unterricht oder ihr als Schulgemeinschaft es ermöglicht, dass Kinder und Jugendliche Leistung zeigen konnten?“, oder „Wie hast du im Unterricht oder ihr als Schulgemeinschaft Talente bei Schülerinnen und Schülern entdeckt?“. Viele empfinden es als stärkend, darüber zu sprechen, was an ihrer Schule schon gut gelingt und zu erfahren, wie es andere machen. So werden gute Ansätze sichtbar und nutzbar gemacht. Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen bei unseren Treffen, ergänzend zu den Erfahrungen aus der Schulpraxis, weitere Förderungsmöglichkeiten auf oder erläutern die Theorien, die dahinterstecken.

Was ist für Sie persönlich das Reizvollste an diesem Moment der Initiative?

Ahlgrimm: Es ist schön, zu sehen, wie das, was wir in den letzten fünf Jahren gemeinsam mit den Schulen entwickelt haben, nun in einen größeren Kontext gestellt wird. Wir Forschenden werden jetzt wieder mehr zu Helfenden und Unterstützenden. Dadurch können wir selbst wieder mehr forschen und das, was jetzt geschieht, beobachten. Dank „Leistung macht Schule“ werden ja nicht nur die Begabungen von wenigen einzelnen, sondern von allen Schülerinnen und Schülern entdeckt und gefördert. In dieses große Spektrum hineinzuschauen und zu untersuchen, wie der Transfer gelingt und wie Begabungsförderung bei welchen Kindern und Jugendlichen genau wirkt, darauf freue ich mich jetzt besonders.

Herr Doktor Ahlgrimm, wir bedanken uns für das Gespräch!

Porträtfoto

Porträt Dr. Frederik Ahlgrimm

Grit Brandt

Dr. Frederik Ahlgrimm

Der Bildungswissenschaftler Frederik Ahlgrimm hat in Potsdam und Turin die Fächer Latein und Musik auf Lehramt studiert. Nach einem Referendariat am Heinz-Berggruen-Gymnasium in Berlin verfasste er seine Doktorarbeit zum Thema Kooperation von Lehrpersonen an der Universität Erfurt. Er war lange Zeit in der Lehrkräftebildung aktiv, berät Schulen und moderiert regelmäßig Entwicklungsprozesse. Seit 2019 ist er für „Leistung macht Schule“ wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin.