Wir fördern die Potenziale aller Schülerinnen und Schüler

Professorin Gabriele Weigand, die Koordinatorin des Forschungsverbunds von „Leistung macht Schule“, spricht über die Erfahrungen und Erfolge der ersten Phase und die Ziele der zweiten Phase der Initiative. Was wurde bereits erreicht? Und wie gelingt es, die Ergebnisse auf viele neue Schulen zu übertragen?

Lehrerin klatscht mit Schülern Hände ab

Die Potenziale aller Schülerinnen und Schülern zu entdecken und gezielt zu fördern, das ist das Ziel von „Leistung macht Schule“.

Adobe Stock / Studio Romantic

Frau Professorin Weigand, Sie sind auch in der zweiten Phase Koordinatorin des Forschungsverbunds in der Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule“. Was sind die wichtigsten Erfahrungen, die Sie aus der ersten Phase mitnehmen?

Weigand: Kommunikation und Transparenz sind die entscheidenden Faktoren, um eine solch große Initiative mit Leben zu erfüllen und die Zusammenarbeit dauerhaft produktiv zu gestalten. Die erste Phase von „Leistung macht Schule“ war durch eine offene Kommunikation und ein hohes Maß an Vertrauen zwischen allen Beteiligten gekennzeichnet, sowohl innerhalb des Forschungsverbunds als auch nach außen in der Zusammenarbeit mit den Schulen und mit Bund und Ländern.

Sehr wichtig war auch, dass wir die zentralen Begriffe der Initiative – Begabung und Leistung – mit Forschungshintergrund belegt, gemeinsam sowohl im Forschungsverbund als auch mit den anderen Beteiligten der Initiative diskutiert und uns schließlich im Konsens auf ihre Bedeutung geeinigt haben. So wurde Missverständnissen vorgebeugt und ein abgestimmtes Vorgehen ermöglicht.

Der Kerngedanke der Initiative ist Potenzialförderung.

Professorin Weigand


Zudem hat die Klärung der Begriffe dazu beigetragen, die Initiative insgesamt in Richtung Potenzialförderung und Bildungsgerechtigkeit auszurichten. Da ganz verschiedene Schulformen in der Initiative vertreten sind – von den Grundschulen bis hin zu verschiedenen weiterführenden Schulformen einschließlich Förderschulen –, haben wir uns als Forschungsverbund intern und in der Diskussion mit Bund und Ländern auf einen sehr breiten Begabungs- und Leistungsbegriff verständigt. Es geht in der Initiative folglich nicht nur um „akademische“ Leistung, also um gute Noten in Schulfächern, sondern darum, die Potenziale aller Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Der Kerngedanke der Initiative ist Potenzialförderung.

Uns ist wichtig, Kinder nicht vorab zu kategorisieren: als leistungsstark, als leistungsschwach oder als hochbegabt. Ohne solche Vorab-Kategorisierungen geht man viel unvoreingenommener in eine Klasse hinein. Ein vielversprechender Weg ist es, Kindern und Jugendlichen Begabungen zu unterstellen. Bei allen Kindern immer wieder hinzuschauen, welche Stärken sie haben, die sie aber vielleicht noch gar nicht zeigen. Wenn wir anregungsreiche Umgebungen im Unterricht und in der Schule schaffen, dann zeigen sich bei den Kindern Interessen, die man ohne diese Anregungen nicht gesehen hätte. Die Diagnose ist innerhalb von „Leistung macht Schule“ sehr stark auf Beobachtungen ausgerichtet, aber auch auf Selbstbeobachtung der Kinder. Die Kinder werden angeregt, zu zeigen, was sie interessiert oder interessieren könnte.

In der ersten Phase der Initiative haben Wissenschaft und Schulen gemeinsam Produkte entwickelt, um die Schul- und Unterrichtsentwicklung gezielt zu fördern. Was können wir uns denn unter den Produkten konkret vorstellen?

Weigand: Wir nennen unsere Produkte ganz bewusst P³-Produkte. P³ steht für: Produkt, Person und Prozess. Die Produkte sind Ergebnisse der Zusammenarbeit mit den Schulen in den 22 Teilprojekten. Diese Ergebnisse sind gleichzeitig sowohl im Prozess als auch in der Zusammenarbeit mit Personen entstanden und werden, wenn sie weitergegeben werden, auch wieder von Personen angepasst und im Prozess verändert.

Wir haben, um die Begabungs- und Leistungsförderung in Schulen voranzubringen, insgesamt rund 100 ganz unterschiedliche Produkte entwickelt. Es handelt sich um Materialien, Maßnahmen, Konzepte und Strategien. Als Unterrichtsmaterialien haben wir beispielsweise offene und komplexe Aufgaben, diagnosebasierte Materialien unterschiedlichster Art und sogar ein Brettspiel entwickelt. Zusätzlich zu den Konzepten zur begabungs- und leistungsfördernden Gestaltung des Unterrichts haben wir auch unterschiedliche Instrumente und Strategien zur Schulentwicklung erarbeitet.

Dazu gehören beispielsweise ein Selbstreflexionsleitfaden für eine begabungs- und leistungsfördernde Schulentwicklung (SELF), der direkt in Kollegien angewandt werden kann, oder auch eine Toolbox. Die Toolbox enthält Karten mit Impulsen für die Entwicklung hin zu einer begabungs- und leistungsfördernden Schule. Schulen selbst, aber auch externe Schulbegleitungen können mit Hilfe dieser Karten entscheiden, an welchen Themen sie arbeiten wollen. Mit den passenden Impulskarten können sie dann zum Beispiel das Leitbild ihrer Schule hin zu einem Leitbild einer begabungs- und leistungsfördernden Schule verändern oder auch ihre Netzwerke auf- und weiter ausbauen.

Können Sie uns auch ein konkretes Produkt für den Unterricht beschreiben?

Weigand: Für den Biologieunterricht wurden etwa Forschungsboxen entwickelt. Zum Beispiel zum Thema Herz: Die Schülerinnen und Schüler können damit ganz konkret als Forschende in dieses Thema einsteigen. Diese Herangehensweise hat die Lehrpersonen, die mit den Forschungsboxen gearbeitet haben, so angeregt, dass sie auch eigene Boxen zu anderen Themen gestaltet haben, zum Beispiel zu Bienen. Ziel ist es, den Unterricht stärker auf forschungsbasiertes, selbstgesteuertes Lehren und Lernen umzustellen und die Potenziale von Lernenden besser sichtbar und damit förderbar zu machen.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den Schulen erlebt? Was hat gut funktioniert, was war eher herausfordernd?

Weigand: Die Zusammenarbeit mit den Schulen hat hervorragend funktioniert. Die Lehrpersonen und Schulleitungen schätzen es sehr, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit ihnen arbeiten. Wir betonen immer: „Wir sind Expertinnen und Experten auf unserem Gebiet. Sie sind Expertinnen und Experten im Bereich Schule.“ So kommen zwei Expertisefelder zusammen, wir tauschen uns aus und verfolgen daran anknüpfend die gemeinsam gesteckten Ziele.

Ich habe noch die Stimme einer Schulleiterin im Ohr, die gesagt hat, sie sei so froh, mit der Wissenschaft zusammenarbeiten zu können. So wisse sie, dass das, was sie tue, auch von der Forschung gestützt werde. Das gebe ihr und dem Kollegium Sicherheit. Sie führe ihre Schule so gewissermaßen forschungsbasiert und habe mehr Mut, Neues einzuführen. Ähnlich äußern sich viele Schulleitungen und auch Lehrpersonen. Die Zusammenarbeit mit der Forschung unterstützt sie in ihrem Arbeitsalltag und bringt sie voran.

Professorin Weigand im Gespräch

Professorin Weigand im Gespräch.

Valentin Paster

Können Sie uns kurz erklären, worin sich die Arbeit des Forschungsverbunds in der ersten und in der zweiten Phase unterscheidet?

Weigand: In der ersten Phase hat der Forschungsverbund zusammen mit den Schulen Produkte entwickelt. Diese wurden mit den Lehrpersonen gemeinsam formativ evaluiert: Das heißt, Lehrerinnen und Lehrer haben beispielsweise die entwickelten Materialien im Unterricht eingesetzt und Rückmeldungen dazu gegeben. Wir haben die Rückmeldungen eingearbeitet, die Materialien optimiert und sie erneut testen lassen. Im Zentrum der Zusammenarbeit mit den Schulen stand also das Ausprobieren und das gemeinsame Weiterentwickeln. Dank dieser engen Zusammenarbeit haben wir jetzt am Ende der ersten Phase wirklich praxiserprobte und praxistaugliche Produkte.

In der zweiten Phase sollen diese Produkte nun in zwei Richtungen transferiert, umgesetzt und verankert werden. Erstens Transfer innerhalb der Schulen der ersten Phase: Wir wollen unsere Produkte noch breiter und vertiefter in diesen Schulen verankern. In der ersten Phase wurden die erarbeiteten Materialien oft nur von wenigen Lehrpersonen eingesetzt oder es wurde lediglich in einem Fach so gearbeitet. Die Prozesse in diesen Schulen werden also weitergeführt. Zweitens Transfer in neue Schulen: Es kommen bis zu 1000 neue Schulen hinzu. Auch diese Schulen sollen ihren Unterricht und ihre gesamte Schulkultur in Richtung Begabungs- und Leistungsförderung entwickeln, indem sie die Produkte der ersten Phase einsetzen.

Die Hauptaufgabe des Forschungsverbunds in der zweiten Phase ist es, diese Prozesse forschend zu begleiten und zu unterstützen: Wie gelingt der Transfer von außen in Schulen hinein? Unter welchen Bedingungen gelingt die Umsetzung? Zudem unterstützt der Forschungsverbund den Transfer und die Implementation mit Professionalisierungsformaten für Lehrpersonen und Angeboten für Schulleitungen.

In der zweiten Phase der Initiative sind, wie Sie gerade erwähnt haben, deutlich mehr Schulen beteiligt als in der ersten Phase. Wie werden Sie damit umgehen?

Weigand: Die Herausforderung ist groß und wir haben Respekt davor. Wir können das nur gemeinsam schaffen: gemeinsam mit den Schulen der ersten Phase, den neuen Schulen, aber auch gemeinsam mit den Ländern, den Landesinstituten beziehungsweise Qualitätseinrichtungen der Länder und dem Bund. In der ersten Phase haben wir sehr gute Voraussetzungen dafür geschaffen: Wir haben eine solide Vertrauensbasis und eine offene Kommunikation.

Ganz konkret bieten wir im ersten Jahr der zweiten Phase ein Informations- und Austauschangebot für die Schulleitungen der neuen Schulen an. Damit möchten wir die Schulleitungen, die eine zentrale Rolle bei der Schul- und Unterrichtsentwicklung an ihrer Schule spielen, für die Initiative gewinnen.

Darüber hinaus arbeiten wir sehr eng mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zusammen. Ein Teil von ihnen sind Lehrpersonen aus den Schulen der ersten Phase, die mit uns an den Produkten gearbeitet haben. Sie werden ihr erworbenes Wissen und ihre Erfahrungen an die neuen Schulen weitergeben. Unter anderem wird es Angebote zur Hospitation geben und ganz viele Möglichkeiten, sich auszutauschen und gemeinsam zu reflektieren. So können Lehrpersonen der neuen Schulen erleben, wie die entwickelten Konzepte im Unterricht umgesetzt werden können. Zu den Multiplikatorenteams gehören außerdem Vertreterinnen und Vertreter aus den Landesinstituten beziehungsweise den Qualitätseinrichtungen der jeweiligen Länder, mit denen wir ebenfalls bereits jetzt gut zusammenarbeiten.

Schulnetzwerke und Regionalzentren

Die Schulen arbeiten während der zweiten Phase in Schulnetzwerken zusammen. Diese Netzwerke setzen sich zusammen aus Schulen der ersten Phase (sogenannte Multiplikatorenschulen) und Schulen der zweiten Phase. Lehrpersonen der Multiplikatorenschulen und Vertreterinnen und Vertreter der Landesinstitute beziehungsweise der Qualitätseinrichtungen der Länder bilden Multiplikatorenteams. Die Multiplikatorenteams gestalten die Transferaktivitäten in den Schulnetzwerken. Der Forschungsverbund unterstützt sie dabei.

Der Forschungsverbund richtet dazu fünf etwa gleich große Regionalzentren ein: die Zentren Nord, Süd, Ost, West und Mitte-West. Die Leitungen der Regionalzentren und ihre Mitarbeitenden begleiten die Arbeit in den Schulnetzwerken. Die Zentren bieten auch verschiedene Austausch- und Unterstützungsangebote für die Multiplikatorenteams an.

Um die Kommunikation und Kooperation für die Schulen zu erleichtern, wird die Zusammenarbeit mit den Schulen in fünf Regionalzentren organisiert. Dadurch erreichen wir kürzere Wege für alle Beteiligten und die Schulen erhalten konkrete Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in ihrer Nähe. Aus der Forschung über Forschungs-Praxis-Partnerschaften wissen wir, dass eine Vertrauensbasis und Kontinuität in der Kommunikation zentrale Bedingungen für das Gelingen solcher Partnerschaften sind. Dies wollen wir mit den Regionalzentren ermöglichen. Uns als Forschungsverbund ist es wichtig, dass das Projekt insgesamt für die einzelnen Schulen gut machbar ist und gerne angenommen wird. Unser Ziel ist es, die neuen Schulen ebenso wie die Schulen der ersten Phase zu begeistern!

Als Forscherinnen und Forscher interessieren Sie sich auch aus wissenschaftlicher Sicht für den Transfer. Wo liegen Ihre Schwerpunkte in der zweiten Phase und was ist daran neu?

Weigand: Unser übergeordnetes Ziel ist zu schauen, ob es verallgemeinerbare Erkenntnisse darüber gibt, unter welchen Bedingungen – förderlichen oder auch hinderlichen Bedingungen – der Transfer und die Anwendung von bestimmten Produkten in die Praxis gelingen kann. Wir untersuchen außerdem, welche Wirkungen es hat, wenn unsere Produkte in der Praxis eingesetzt werden. Neu ist unser partizipativer Ansatz: Wir wollen die Prozesse partnerschaftlich – zusammen mit der Praxis – wissenschaftlich untersuchen und dabei direkt Optimierungen anstoßen.

Wir führen sowohl Fallstudien, gerade im fachdidaktischen Bereich, als auch Interviews und Begleitstudien durch, beispielsweise zur Netzwerkbildung und zur Arbeit in den Schulnetzwerken. So untersuchen wir die Prozesse, die dort ablaufen, möglichst nah an den handelnden Personen. Unsere Erkenntnisse besprechen wir auch direkt wieder mit ihnen: Was hat aus Praxissicht geklappt? Was könnten wir verbessern?

Insgesamt können Sie daran auch das Neue an der Initiative „Leistung macht Schule“ sehen: Transfer bedeutet für uns nicht, dass wir Produkte an der Schultür abliefern und sagen: „Das ist evidenzbasiert. Wenden Sie es doch bitte an!“ Wir wollen im Austausch mit den Praktikerinnen und Praktikern die Transfer- und Umsetzungsprozesse begleiten. So sehen wir gemeinsam und unmittelbar, wo Stolpersteine liegen oder wo förderliche Bedingungen herrschen, und können gegebenenfalls nachsteuern.

Zum Abschluss möchten wir mit Ihnen einen Blick in die Zukunft werfen. Was wollen Sie in der Initiative „Leistung macht Schule“ noch erreichen?

Weigand: Ganz konkret wollen wir bis zum Ende der zweiten Phase die Nachhaltigkeit der Bund-Länder-Initiative gewährleisten. Zum einen wollen wir begabungs- und leistungsfördernde Schulen entwickelt haben. Zum anderen wollen wir unsere Produkte, auch digital, so aufbereitet haben, dass sie von den Schulen selbst, von Landesinstituten, aber auch von allen Interessierten in der Fort- und Weiterbildung auch nach dem Ende von „Leistung macht Schule“ direkt verwendet werden können.

Für die Schulen der ersten Phase wünschen wir uns, dass sie sich noch stärker in Richtung Begabungs- und Leistungsförderung entwickeln. Manche Schulen sind dabei in der ersten Phase schon sehr weit gekommen, andere freuen sich, nun noch mehr Zeit dafür zu haben. Natürlich wollen wir auch die neu hinzukommenden Schulen für uns und für die Initiative gewinnen und dort entsprechende Schul- und Unterrichtsentwicklung realisieren. Aber auch über diese Schulen hinaus soll sich der Gedanke der Begabungs- und Leistungsförderung im Bildungssystem weiter verbreiten – zugunsten von mehr Chancengerechtigkeit!

Frau Professorin Weigand, wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg und bedanken uns für das Gespräch!

Professorin Gabriele Weigand

Nach ihrer Promotion und Habilitation an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist Gabriele Weigand seit 2004 Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Sie beschäftigt sich mit Personaler Anthropologie, Begabungs- und Schulentwicklungsforschung sowie mit institutioneller und interkultureller Pädagogik. Gastdozenturen und Forschungsaufenthalte haben sie nach Australien, Brasilien, Frankreich, Japan, Taiwan und in die USA geführt. Gabriele Weigand unterrichtete zehn Jahre lang Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Ethik am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg. Als Mitglied in der Schulleitung hat sie dort Modellklassen für Hochbegabte mit entwickelt. Neben der Koordination des Forschungsverbunds ist Gabriele Weigand in der zweiten Phase von „Leistung macht Schule“ in folgenden Bereichen des Forschungsverbunds beteiligt: Netzwerkbegleitung und Netzwerkforschung, Transfer- und Implementationsforschung sowie Professionalisierung und Professionalisierungsforschung.