Aktive Netzwerkarbeit ermöglicht eine vielseitige Schulentwicklung

Professor Hans Anand Pant von der Humboldt-Universität Berlin setzt sich für eine begabungsförderliche Kultur in der Schule ein. Die entsteht, wenn Schulen sinnvolle Leitbilder entwickeln und Lehrkräfte miteinander kooperieren.

Porträtfoto Professor Hans Ananad Pant

Die Deutsche Schulakademie gGmbH, Foto: David Weyand

Leistung-macht-Schule.de: Herr Professor Pant, Lehrkräfte sind oft Einzelkämpfer. Und auch viele Schulen finden im Alltag nicht ausreichend Zeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Warum ist aber gerade der Blick nach außen so wichtig für guten Unterricht und für gute Schulen?

Damit sprechen Sie zwei Ebenen an. Einerseits die des Kollegiums in der Schule und andererseits die Ebene der Schule als Institution, die sich mit anderen Schulen in Netzwerken zusammenschließt. In beiden Fällen ist Kooperation ein ganz wesentliches, strukturelles Element. Mit der Zusammenarbeit im Kollegium können Lehrkräfte ihre Arbeit aufteilen und dadurch langfristig viel Zeit sparen. Das kommt dem Unterricht und der Schulorganisation zugute. Ein weiterer Vorteil ist die Erweiterung des Horizonts, denn Lehrkräfte können ihr Repertoire für den Unterricht deutlich ausweiten. Schulnetzwerke sind besonders für die Schulleitung interessant, die ihr eigenes Handeln im Vergleich mit anderen erweitern und entwickeln kann. Davon haben letztlich alle etwas.

Inwiefern profitieren auch leistungsstarke und potenziell leistungsfähige Schülerinnen und Schüler davon?

Bisher unterhalten sich Lehrkräfte selten schulübergreifend miteinander über bewährte Methoden der Förderung von leistungsstarken Kindern und Jugendlichen, oder darüber, wie man Begabungsförderung gut organisieren kann. Deshalb bietet es sich an, künftig in definierten Schulnetzwerken systematisch für einen zielführenden Austausch zu sorgen. Modelle, die an einer Schule gut funktionieren, können für andere Schulen übernommen und gegebenenfalls angepasst werden. Letztlich geht es bei der Förderung von Begabung immer auch um eine Art von Schulentwicklungsvorhaben.

Über die Deutsche Schulakademie haben Sie bereits eine große Umfrage zur Kooperation unter Lehrkräften in Auftrag gegeben. Warum kooperieren Lehrerinnen und Lehrer so selten miteinander? Und warum sind auch Schulen diesbezüglich eher zurückhaltend?

Das hat zum Beispiel mit der Haltung der Schulleitung und der Einstellung der Lehrkräfte zu tun, die schon früh in ein Denken als Einzelkämpferin und Einzelkämpfer beziehungsweise in ein Wettbewerbsdenken „hineinsozialisiert“ werden. Aber Fragen wie „Wer hat die bessere Schule?“ oder „Wer genießt größeres Ansehen bei den Eltern?“ behindern kooperative Strukturen grundlegend. Gute Kooperation hängt jedoch nicht nur von der Einstellung Einzelner ab. Auch die Technik ist ganz wichtig.

Internationale Studien zeigen, dass eine sogenannte Ko-Konstruktion, die als Königin der kooperativen Verhaltensweisen angesehen wird, in anderen Ländern ganz selbstverständlich ist. Von uns wird sie hingegen gar nicht beachtet. Bei einer guten Ko-Konstruktion geht es keineswegs um einen oberflächlichen Austausch von ein paar Unterrichtsmaterialen vor Stundenbeginn, sondern darum, schon im Vorhinein gemeinsam zu überlegen, welche Maßnahmen für die pädagogische Ausrichtung der Schule sinnvoll sind. Das ist zwar viel anstrengender, aber auch viel gewinnbringender, weil sich die Lehrkräfte ernst genommen fühlen und sich wieder in ihrer beruflichen Kernkompetenz beweisen können – nämlich im pädagogischen Denken.

Wie kann Ihr Projekt für „Leistung macht Schule“ helfen? Wo setzen Sie an?

Wir versuchen eine begabungsförderliche Kultur in der Schule zu verankern und streben dies durch gezielte Organisationsentwicklung an. Dafür gibt uns die Bildungsforschung zwei wirkungsvolle Hebel an die Hand: Der erste ist die Leitbildentwicklung. Unter Beteiligung aller für die jeweilige Schule wichtigen Personen, also der Lehrkräfte, der Schulleitung, der Schülerinnen und Schüler und der Eltern werden Bedürfnisse ernst genommen und Ideen gesammelt. Auf diese Weise klärt sich schnell, was die Schule für die Förderung bestimmter Schülergruppen tun kann, oder was Leistung an der eigenen Schule überhaupt bedeutet. Es kristallisiert sich heraus, welche Werte die Schule wirklich leben will. Leitbildentwicklung ist ein mehrjähriger Prozess, der oft mit Streit und Auseinandersetzung und gerade deshalb mit echtem Commitment verbunden ist. Das Ergebnis ist dann weit mehr als ein fünf Seiten umfassendes Papier, das irgendwo im Schrank eines Schulsekretariats gelagert wird.

Der zweite Hebel betrifft den Aufbau von Netzwerkstrukturen. Hierbei schließen sich mehrere Schulen zu einem Netzwerk zusammen, definieren gemeinsame Ziele und denken darüber nach, wie sie ihre Zielerreichung regelmäßig überprüfen können. Idealerweise begeben sich die Beteiligten dafür schließlich auf eine Metaebene und fragen sich, was sie verstetigen müssen, um immer wieder Neues gut in ihr bestehendes System integrieren zu können. Das ist der eigentliche Gewinn. Die Förderung von leistungsstarken und potenziell leistungsfähigen Kindern und Jugendlichen ist dabei nur der Inhalt einer neuen organisationalen Fähigkeit.

Gibt es Vorbilder, die gute Netzwerkarbeit vorleben?

Diesbezüglich lernen wir vor allem aus dem angloamerikanischen Raum, insbesondere von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Anthony Bryk, dem „Guru“ der Netzwerkforschung. Dieser Professor hat die Schulentwicklungsforschung weit voran gebracht, indem er eng mit Schulen in Chicago zusammenarbeitete, die – in problematischen Stadtvierteln gelegen – ganz bestimmten Herausforderungen begegnen mussten. Denn es genügt ja nicht, wenn die Wissenschaft vermeintlich sinnvolle Umbaustrukturen für Schulen erarbeitet, die am Ende gar nicht benötigt werden oder nicht umgesetzt werden können. Deshalb brauchen wir auch in Deutschland Rahmenbedingungen, die einen institutionell abgesicherten Austausch zwischen Wissenschaft und Schulpraxis garantieren.

Wie lässt sich dieses Modell auf die Schulen von „Leistung macht Schule“ übertragen?

Zu Beginn der Initiative sind wir auf große Skepsis seitens der Schulen gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der Forschung gestoßen. Deshalb geht es uns zunächst darum, die gegenseitigen Vorurteilsstrukturen aufzubrechen. Das gelingt über die Schaffung eines „Schutzraums“, in dem alle Beteiligten offen über Bedenken sprechen und sich darüber austauschen können, was gut und was weniger gut läuft. Hierfür nutzen wir vor allem die Netzwerktreffen der Initiative. Dort geben wir auch Impulse aus der Wissenschaft weiter und stellen Modelle vor, die bei der Leitbildentwicklung oder bei der Netzwerkorganisation helfen können. Und die Schulen berichten uns, welche Erfahrungen sie selbst schon gemacht haben und welche Konzepte sie für besonders praxistauglich halten.

Wie sähe denn ein gutes kooperatives Netzwerk einer Schule aus?

Im Idealfall würden sich mehrere Schulen in regelmäßigen Abständen, in bestimmten Gruppen, unter vereinbarten Rahmenbedingungen zusammenfinden und abgestimmte Themen besprechen. An solchen Treffen müsste auch immer ein Mitglied der Schulleitung teilnehmen, damit sich die gemeinsam erarbeiteten Vorhaben auch dauerhaft in den Schulen verstetigen lassen. Schulentwicklungsthemen würden immer an Unterrichtsentwicklungsthemen gekoppelt werden, damit nicht nur ein Aspekt – wie zum Beispiel die Fachdidaktik – alle Treffen dominiert. Die Schulleiterinnen und Schulleiter müssten dabei stets aufmerksam hinterfragen, ob sich die besprochenen Vorhaben in ihrer Schule auch wirklich umsetzen lassen. Idealerweise werden auf diese Weise Strukturen entwickelt, die es den Schulen langfristig ermöglichen, mit neuen Herausforderungen – wie vor kurzem zum Beispiel mit der plötzlichen Zunahme von Kindern mit Fluchtgeschichte oder den aktuellen Digitalisierungsbestrebungen – flexibel und selbstbewusst umzugehen.

An welchem Punkt stehen Sie mit Ihrer Arbeit im Projekt?

Momentan schließen wir die „Besuchsphase“ ab. Wir sind persönlich an all unsere Schulen gefahren und haben eine Bestandsaufnahme gemacht. Davon ausgehend haben wir gemeinsam mit den Schulverantwortlichen Ziele definiert und genau überlegt, welche Entwicklungsmöglichkeiten es für die jeweilige Schule gibt. Nun erarbeiten wir konkrete Entwicklungsaufgaben, die wir unseren sogenannten Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern demnächst mitgegeben werden. Das sind schulpraxiserfahrene Menschen, die idealerweise auch über Techniken des Coachings und der Mediation verfügen. Sie werden die Schulen künftig in ihrem Entwicklungsprozess begleiten. Unser Berliner Kollege Dr. Frederik Ahlgrimm kennt außerdem auch den Wissenschaftsbetrieb sehr gut und ist deshalb genau die Person, die wir für diesen Job brauchen.

Herr Professor Pant, Sie haben in den letzten Jahren im schulischen Kontext viel gesehen und erlebt. Gibt es eine besondere Erfahrung, an die Sie sich gern erinnern und die Sie bei Ihrer Arbeit für kooperative Netzwerke motiviert?

Ja, durchaus. Das Netzwerk „Schulen einer Stadt“ hat sich in den letzten drei Jahren in Potsdam schulartübergreifend etabliert, obwohl am Anfang eigentlich kaum eine Schule etwas mit der anderen zu tun hatte. Diese Schulen haben die Verabschiedung des neuen Rahmenlehrplans für das Land Brandenburg zum Anlass genommen, sich zusammenzuschließen. Sie sind davon überzeugt, dass sie die Umsetzung des Lehrplans arbeitsteilig und im Austausch miteinander besser schaffen können. Das ist in meinen Augen ein Paradebeispiel dafür, wie sich ein Grundverhältnis von Konkurrenz in eine nachhaltige Kooperation verwandeln kann. Also nach Potsdam schaue ich sehr gern.

Herr Professor Pant, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Professor Dr. Hans Anand Pant

An der Philipps-Universität Marburg hat Hans Anand Pant Psychologie und Soziologie studiert und ist an der Freien Universität Berlin im Fach Psychologie promoviert worden. Er erforscht, wie empirische Verfahren für Schulen, Bildungsverwaltungen und Bildungspolitik nutzbar gemacht werden können und wie der Transfer von Bildungsinnovationen gelingt. Seit 2010 ist er Professor für Erziehungswissenschaftliche Methodenlehre an der Humboldt-Universität zu Berlin und seit 2015 auch Geschäftsführer der Deutschen Schulakademie. Seit 2011 ist er Mitglied in der Jury des Deutschen Schulpreises. Für „Leistung macht Schule“ leitet Hans Anand Pant mit anderen Forscherinnen und Forschern das Projekt KoNewS.