Die Informatik kann Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung beflügeln

Der Lehrer Arne Langner und die Forschenden Doktorin Claudia Hildebrandt und Matthias Matzner entwickeln Konzepte für differenzierten Informatikunterricht und entdecken dabei junge Talente.

Die drei Interviewpartner

Lehrer Arne Langner (oben links) und die Forschenden Matthias Matzner (oben rechts) und Doktorin Claudia Hildebrandt (unten) im Online-Interview

DLR Projektträger

Leistung-macht-Schule.de: Frau Doktorin Hildebrandt, Herr Matzner und Herr Langner, für „Leistung macht Schule“ finden und fördern Sie leistungsstarke Schülerinnen und Schüler im Fach Informatik der Sekundarstufe I.

Warum ist Informatikunterricht in der Schule heute besonders wichtig für Kinder und Jugendliche?

Hildebrandt: Ob in der Schule, Zuhause, in der Freizeit oder später im Beruf: Überall im Leben der Schülerinnen und Schüler sind Informatiksysteme zu finden, die Daten automatisch erfassen und auswerten, um einen bestimmten Nutzen daraus zu ziehen. Deshalb ist es wichtig, dass junge Menschen heute lernen, was hinter diesen Systemen steckt. Damit können sie besser einschätzen, was mit ihren Daten passiert.

Langner: Uns Lehrkräften geht es vor allem um eine geschulte Anwendung. Wir möchten unseren Schülerinnen und Schülern die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Und dazu gehört heutzutage, dass sie in der Lage sind, zum Beispiel Clouddienste richtig zu benutzen. Im Sinne der Chancengleichheit ist es wichtig, dass wir uns dafür nicht auf die Wissensvermittlung der Elternhäuser verlassen. Der differenzierte Umgang mit dem digitalen Leben ist etwas, das wir bei jungen Menschen erst systematisch ausbilden müssen – und zwar eng verzahnt mit dem Verständnis von Algorithmen und Datenschutz.

Warum ist das Fach Informatik gut dazu geeignet, leistungsstarke Kinder und Jugendliche zu finden und zu fördern?

Hildebrandt: Weil Leistungsstarke in diesem Fach ihre Interessen verfolgen und ihre persönlichen Kompetenzen ausbilden können. In der Informatik werden ja nicht nur grundlegende Konzepte und Methoden zur Lösung konkreter Probleme entwickelt, wie zum Beispiel bei der Entwicklung von Software. Das Fach bietet noch vieles mehr: Etwa theoretisch abstrakte und mathematikorientierte Aspekte, oder die Vermittlung von hardwareseitigen Grundlagen, wie die Mikroprozessortechnik oder die Rechnerarchitektur. Darüber hinaus sind relevante Zusammenhänge zwischen Informatik, Mensch und Gesellschaft zu erkennen und zu bewerten.

Matzner: Dank dieser Vielseitigkeit können sich Schülerinnen und Schüler mit all ihren verschiedenen Fähigkeiten einbringen. Dafür ist allerdings eine individualisierte Unterrichtsstruktur mit unterschiedlichen Leistungsniveaus unerlässlich. Vor allem das algorithmische Problemlösen kann solche variierenden Leistungsebenen gut abdecken.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Hildebrandt: Ein LEGO-MINDSTORMS-Roboter kann dazu gebracht werden, einer schwarzen Linie zu folgen. Dafür müssen die Kinder und Jugendlichen den Roboter so programmieren, dass er am Rand einer schwarzen Linie entlangfährt. Misst der an den Roboter angebaute Farbsensor „zu viel weißen Untergrund“, geben die Schülerinnen und Schüler ihrem Roboter den Befehl, diesen Unterschied in die richtige Richtung auszugleichen, also wieder zur Linie zu fahren. Das geschieht mithilfe eines einfachen Algorithmus.

Mit dieser „Basis-Programmierung“ würde der Roboter allerdings in allen Kurven identisch fahren, ganz gleich ob die Kurven wenig oder stark gekrümmt sind. Denn er überprüft die jeweilige Situation nicht und passt sich nicht daran an. So „flöge“ er zwangsläufig an bestimmten Stellen „aus der Kurve“. Um das zu verhindern, könnten die Schülerinnen und Schüler ihn komplexer programmieren: Je weiter er dann von der schwarzen Linie entfernt wäre, umso „stärker“ müssten seine Motoren gegensteuern. Hängt der Lenkungswert dabei vom Abstand des Roboters zum Linienrand ab, sprechen wir von einer Proportionalregelung. Das ist allerdings schon eine sehr anspruchsvolle Lösung, bei der Variablen eingesetzt werden. Kreative Zwischenlösungen sind ebenfalls denkbar.

Fahrender Roboter

Der von Schülerinnen und Schülern programmierte Roboter fährt an einer schwarzen Linie entlang und überwindet Hindernisse.

Universität Oldenburg, Didaktik der Informatik

Welche Ziele verfolgen Sie bei „Leistung macht Schule“ und wie gestalten Sie die Zusammenarbeit?

Langner: An den Realschulen, die ich kenne, unterrichten Informatiklehrkräfte häufig fachfremd, wenn auch mit entsprechenden Zertifizierungen. Trotz großem Interesse an dem Fach fällt es uns aber manchmal schwer, komplexe Aufgaben auf verschiedenen Niveaus zu stellen, wie sie Frau Hildebrandt beschrieben hat. Das wollen wir an unserer Schule ändern. Durch „Leistung macht Schule“ können wir viel dazulernen. Und das geben wir unseren Schülerinnen und Schüler unmittelbar zurück.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Langner: Als ich die Programmiersprache Python in meiner Klasse eingeführt habe, konnte Herr Matzner gute Impulse für unsere Programmierumgebung geben. Außerdem hat er uns vielseitige Anwendungsbereiche für unsere Programmierungen eröffnet. Durch diesen Austausch ändern wir Lehrkräfte automatisch die Sichtweise auf unseren Unterricht. Das ist ein unglaublicher Mehrwehrt für uns, den wir auch daran erkennen, dass sich unsere Schülerinnen und Schüler viel stärker weiterentwickeln. Ganz einfach, weil sie mehr Raum dazu erhalten.

Was geschieht denn mit Schülerinnen und Schülern, wenn sie „mehr Raum“ erhalten?

Langner: Ein Informatikschüler aus der neunten Klasse hat vor ein paar Tagen – ohne Arbeitsauftrag – einen Verschlüsselungscode in der Programmiersprache Python geschrieben. Ihn hat interessiert, wie normale Textnachrichten mithilfe des Transpositionsverfahrens und einem vorher bekannten Schlüssel getauscht werden können. Dafür hat er zwar die Grundlagen aus unserem Unterricht aufgegriffen, diese aber frei für seine eigene Fragestellung weiterentwickelt. Und das war eine Situation, die ohne „Leistung macht Schule“ so wahrscheinlich nicht entstanden wäre. Wir haben dem Jungen den Raum und die Motivation gegeben, um über sich hinauszuwachsen.

Gibt es weitere Projektziele?

Hildebrandt: Uns ist es wichtig, dass Schulen zeitgemäßen Informatikunterricht anbieten können. Deshalb schauen wir vor Ort, was von uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gebraucht wird. Manchmal genügen schon kleinste Veränderungen, um den Informatikunterricht so anzupassen, dass alle Seiten davon profitieren. Dafür ist es wichtig, dass wir uns alle auf Augenhöhe begegnen. Uns Forschenden von der Uni Oldenburg kommt dabei zugute, dass viele von uns auch selbst an Schulen unterrichten.

Matzner: Weil Informatik in vielen Bundesländern in der Sekundarstufe 1 kein Pflichtfach ist, fehlt manchmal einfach gutes Unterrichtsmaterial, womit wir gern weiterhelfen.

Langner: Erst seit Kurzem gibt es in Nordrhein-Westfalen einen Kern-Lehrplan für die fünfte und sechste Klasse, für den derzeit Schulbücher vorbereitet werden. Aber für ein Wahlpflichtfach an ein paar Realschulen verlegt ja kein Mensch ein Schulbuch. Deshalb habe ich an unserer Realschule bislang zum Beispiel mit Unterrichtsmaterialien aus der Fachoberschule in Bayern unterrichtet. Aber genau an diesem Punkt hilft uns „Leistung macht Schule“ jetzt unglaublich weiter.

Hildebrandt: Darüber hinaus möchten wir Forschende herausfinden, was leistungsstarke Schülerinnen und Schüler in der Informatik überhaupt ausmacht. Wir wollen wissen, welche besonderen Merkmale sie haben und welche Förderung für sie die beste ist.

Und wie finden Sie heraus, was Leistungsstarke in der Informatik ausmacht und wie sie gut gefördert werden können?

Matzner: Mit vielen langen Fragebögen (lacht). Und wir sind sehr dankbar, dass unsere Schulen uns dabei so geduldig unterstützen. So haben wir an nur vier Projektschulen insgesamt 660 Schülerinnen und Schüler befragt. Das ist ganz schön viel.

Welche Merkmale haben junge Menschen, die besonders leistungsstark in der Informatik sind?

Matzner: Es scheint kein einzelnes Merkmal zu geben, das IMMER auf besondere Leistungsstärke hinweist – dafür ist die Vielfalt an Aufgaben einfach zu groß. Es gibt jedoch Merkmale, die für bestimmte Aufgabentypen vorteilhaft sind: Zum Beispiel schnitten Schülerinnen und Schüler bei Aufgaben zum blockbasierten Programmieren und zum Binärsystem besser ab, wenn ihre kognitive Geschwindigkeit hoch war. Je kreativer die Kinder und Jugendlichen waren, desto besser konnten sie algorithmische Vorschriften prüfen und Diagramme deuten. Summa summarum ist der Inhalt der informatischen Aufgabe dafür entscheidend, welche Merkmale zu höherer Leistung führen.

Wie fließen die Ergebnisse Ihrer Befragung in die weitere Projektarbeit ein?

Matzner: Wir werden eine anpassbare Diagnostik und Fördermethodik anbieten. Zum einen auf analoge Weise, also mit diagnostisch angelegten Aufgaben und Fragen. Zum anderen entwickeln wir eine Software, die eine diagnostische Auswertung deutlich vereinfachen und beschleunigen kann. So wollen wir die Lehrkräfte dabei unterstützen, ihre Schülerinnen und Schüler im Fach Informatik besser einzuschätzen und auch unauffälligere, potenziell Leistungsstarke zu entdecken.

Arbeiten Sie an Ihrer Schule diagnostisch, Herr Langner?

Langner: Das ist noch Zukunftsmusik. Erst einmal wünschen wir uns eine diagnosebasierte Empfehlung für die Wahl zum Wahlpflichtfach in der siebten Klasse. Denn wir möchten unsere Schülerinnen und Schüler differenzierter beraten können, wenn sie sich zwischen den Fachrichtungen Informatik, Technik, Biologie, Chemie oder Französisch entscheiden müssen.

Herr Langner, inwiefern hat „Leistung macht Schule“ den Informatikunterricht an Ihrer Schule verändert?

Langner: Er ist viel inhaltsreicher und kompetenzorientierter geworden. Mir persönlich bringt der Blick über den Tellerrand sehr viel. Aber das ganze Kollegium freut sich darüber, dass wir unser Curriculum gemeinsam mit der Uni Oldenburg erarbeitet haben und wir unsere Unterrichtsinhalte nun viel besser miteinander verzahnen können.

Haben Sie auch potenziell leistungsstarke Kinder entdecken können, deren Fähigkeiten Sie zunächst anders eingeschätzt haben?

Langner: In einem aktuellen 9er-Kurs gab es einen sehr stillen Charakter, den ich nicht als so brillant wahrgenommen habe, wie er eigentlich ist: Ich dachte vielmehr er fände Informatik furchtbar, weil er oft still dasaß. Aber dann brachte er – ohne Arbeitsauftrag – ein Computerspiel mit, das er selbst auf Scratch geschrieben hatte, mit einem selbst entwickelten Design. Das hat mich völlig geflasht! Erst in dem Moment habe ich begriffen, dass er den Unterricht zwar gut fand, aber einfach viel schneller war als wir Übrigen. Von da an hat er von mir Aufgaben bekommen, die ihn mehr fordern und fördern können.

Und das ist, in meinen Augen, das Schöne an der Informatik: Meine Schülerinnen und Schüler können – vorausgesetzt sie haben eine geeignete Lernumgebung dafür – signalisieren, wenn sie einen ganz anderen Stand der Dinge haben und so ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen. Ich würde sagen, dass sie dafür in Geschichte oder in Deutsch deutlich weniger Spielraum haben.

Und wenn ein Kind in der siebten Klasse mit Informatik beginnt und in der neunten Klasse anfängt, eigene Programme zu schreiben, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie oder er sich später intensiver und vielleicht sogar beruflich damit auseinandersetzt, sehr groß.

Frau Doktorin Hildebrandt, Herr Matzner, Herr Langner, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Dr. Claudia Hildebrandt

Am Lehrerfortbildungszentrum Informatik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg bildet Claudia Hildebrandt Lehrkräfte aus und fort. An derselben Universität hat sie Mathematik, Sport und Informatik studiert. Diese Fächer unterrichtet sie nun am Neuen Gymnasium Oldenburg und ist außerdem Ausbilderin für das Fach Informatik am Studienseminar Leer (Gymnasium). Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Erforschung der Merkmale leistungsstarker Schülerinnen und Schüler in der Informatik, die Entwicklung adaptiver Konzepte für eine diagnosebasierte, individuelle Förderung im Informatikunterricht und die Bildung in der digitalen Welt.

Matthias Matzner

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitet Matthias Matzner in der Abteilung Didaktik der Informatik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er ist Master of Science für Gesellschaftslehre (Lehramt) und Lernpsychologie. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte umfassen analoge und digitale Möglichkeiten zur Leistungsdifferenzierung im Informatikunterricht. Im Projekt Adaptive MINT-Förderkonzepte im Fach Informatik steht er den Lehrkräften von „Leistung macht Schule“ mit Unterrichtsentwürfen und Rückmeldungen zur Seite.

Arne Langner

Arne Langner hat die Fächer Geschichte und Geographie an der Ruhr-Universität-Bochum und an der Bergischen Universität Wuppertal studiert. Seit 2015 unterrichtet er an der Marie-Reinders-Realschule in Dortmund, wo er sich für die Entwicklung des Informatikunterrichts und die Förderung von informationstechnischen Talenten bei Schülerinnen und Schülern einsetzt.