Mädchen nachhaltig für MINT begeistern
Mit CyberMentor Plus können Schülerinnen für MINT-Fächer gewonnen werden. Lehrerin Julia Harthun und Doktorin Kathrin Emmerdinger sprechen darüber, wie der Transfer dieses großartigen Programms erfolgreich an weitere Schulen gelingt.

Mit großer Begeisterung führen Schülerinnen Experimente durch.
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Frau Emmerdinger, Sie möchten Schülerinnen mit Ihrem Programm für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, also für MINT, begeistern. Wie funktioniert CyberMentor Plus und die zugehörigen MINT-AGs?
Emmerdinger: Das Ziel des Programms ist, Mädchen nachhaltig für den MINT-Bereich zu begeistern. Frauen sind dort leider nach wie vor unterrepräsentiert. Es gibt bereits viele Angebote, die sich spezifisch an Mädchen richten. Aber die Wirkung von vielen meist nur punktuellen Angeboten verpufft häufig schnell. Wir wissen aus der Forschung, dass das Interesse der Mädchen besser mit längerfristigen Maßnahmen gefördert werden kann, die an verschiedenen Ursachen ansetzen.
Die Besonderheit von CyberMentor Plus: Wir kombinieren ein Online-Mentoring-Programm mit MINT-Expertinnen und begleitenden Arbeitsgruppen an Schulen, den MINT-AGs. Die Mädchen werden über eine Online-Plattform mit einer Mentorin „gematcht“. Die Mentorinnen sind Frauen aus dem MINT-Bereich, die in der Wirtschaft oder der Wissenschaft arbeiten oder ein MINT-Fach studieren. Die Mentorinnen und die Schülerinnen – ihre Mentees – tauschen sich über eine geschützte Plattform aus. Vor Ort an den Schulen nehmen die Mädchen zusätzlich an zu CyberMentor Plus gehörigen MINT-AGs teil. Ziel ist, dass zwischen AG und Online-Mentoring Synergien entstehen. Dies geschieht beispielsweise, indem besonders engagierte Mentorinnen die AGs an den Schulen besuchen, sei es digital oder in Präsenz, und ihre Erfahrung dort mit allen Schülerinnen teilen.
Frau Harthun, Sie setzen an Ihrer Schule das Programm seit Beginn von „Leistung macht Schule“ um. Welche Auswirkungen können Sie beobachten?
Harthun: Die Eins-zu-Eins-Betreuung durch die Mentorinnen und die AG in der Schule ergänzen sich sehr gut. Manche Schülerinnen bringen die Themen, die sie mit ihren Mentorinnen besprechen, auch mit in die AG ein. Dort profitieren dann alle anderen Mädchen davon. Oft suchen wir uns in der AG ein Projekt aus, an dem wir gemeinsam arbeiten wollen, dazu können die Mentorinnen dann mit den Mädchen gemeinsam Teilziele erarbeiten.
Es ist toll zu beobachten, wie Schülerinnen, die in der AG zu Beginn vielleicht noch etwas zurückhaltend wirkten, nach und nach durch das Arbeiten mit gleichgesinnten Mädchen in der AG, begeistert naturwissenschaftliche Experimente durchführen!
„Über die Schulen erreichen wir eine breitere Schülerinnengruppe, als mit Online-Mentoring allein.“
Dr. Kathrin Emmerdinger, Wissenschaftlerin
In einem Schuljahr hatte ich eine AG im Rahmen von CyberMentor Plus mit Zehntklässlerinnen. Sie haben jeweils eine Forschungsarbeit zu anspruchsvollen Themen wie zum Beispiel Multilayer-Folien oder Schwarzen Löchern geschrieben. Andere Schülerinnen haben Apps programmiert, beispielsweise eine, mit der man Vokabeln lernen kann. Diese fachliche Tiefe und Vielfältigkeit sind nur in der Kombination aus der AG und der Begleitung durch die Mentorinnen möglich.
Mit diesen Schülerinnen habe ich unter anderem die Technische Universität München besucht und MINT-Studiengänge angeschaut. Dabei war deutlich zu spüren, dass die Schülerinnen ein sehr intensives Interesse an verschiedenen Fächern entwickelt haben. Beispielsweise sagte die Schülerin, die über Multilayer-Folien geschrieben hat, sie werde auf jeden Fall ein Fach in diesem Bereich studieren.
In der zweiten Phase von „Leistung macht Schule“ sollen nun weitere Schulen, die Transferschulen, von den Erkenntnissen und Erfahrungen aus der ersten Phase profitieren. Wie ist dieser Transfer organisiert?
Emmerdinger: In der ersten Phase haben wir als Forschungsteam Fortbildungen entwickelt und diese mit den beteiligten Schulen durchgeführt. In diese Fortbildungen sind auch unsere Erkenntnisse aus der begleitenden Forschung eingeflossen. Jetzt, in der zweiten Phase, übernehmen die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren den Qualifizierungs- und Begleitungspart. Es sind Lehrpersonen, die in der ersten Phase von „Leistung macht Schule“ an CyberMentor Plus teilgenommen haben. Ihre Schulen sind nun die Multiplikatorschulen. Die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren tragen das Programm über Schulnetzwerke an die Transferschulen. Unsere Aufgabe als Forschungsteam ist es, sie mit unserem Wissen aus der Professionalisierungsforschung zu begleiten und zu unterstützen.
Ein wichtiger Aspekt ist zum Beispiel die Rolle, die die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Qualifizierung der Lehrpersonen konkret einnehmen. Zum einen ist es zentral, dass sie Wissen vermitteln. In unserem Kontext sind das die Grundlagen von CyberMentor Plus: das zugrundeliegende Konzept, der Ablauf und welche Ideen es zur Gestaltung gibt. Zum anderen ist es wichtig, dass sie die Kompetenzentwicklung der Lehrpersonen begleiten. Es geht darum, als Ansprechperson bei der Umsetzung des Konzepts zur Verfügung zu stehen, für Herausforderungen zu sensibilisieren und eigene Erfahrungen zu teilen.
„Unser Schulnetzwerk funktioniert sehr gut und ist ein Gewinn für alle Beteiligten.“
Julia Harthun, Lehrerin
Dreimal im Jahr führen wir Arbeitstreffen mit allen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch. Als Schulungsmaterial für den Transfer bereiten wir Präsentationen und praktische Übungen vor, die sie in ihren Schulnetzwerken nutzen können. Sie passen diese Materialien für ihren Bedarf an und reichern sie mit ihren Erfahrungen aus der Umsetzung an. Dann halten sie selbst Fortbildungen für die Lehrpersonen der Transferschulen, die die MINT-AGs durchführen werden. Die Schulnetzwerke werden gewöhnlich von mehreren Personen betreut, so dass eine verhältnismäßig individuelle Betreuung möglich ist. Ergänzend bieten wir als Forschungsteam regelmäßig digitale Austauschrunden an, die allen Schulen offenstehen.
Frau Harthun, Sie sind Multiplikatorin für CyberMentor Plus. Wie arbeiten Sie mit den Transferschulen in Ihrem Schulnetzwerk zusammen?
Harthun: Wir führen unsere Schulnetzwerktreffen möglichst in Präsenz durch, ergänzend einige auch online. Wir geben dort unser Wissen zu den Rahmenbedingungen und unsere Erfahrungen weiter. Bei uns im Schulnetzwerk sind wir sieben Schulen. Wir sind zwei Multiplikatorschulen und machen die Qualifizierung im Team.
Zusätzlich zu den Schulnetzwerktreffen haben wir am Anfang sehr viele individuelle Fragen beantwortet. Die zukünftigen AG-Leitungen fragen zum Beispiel: „Wie genau gestalte ich die erste Sitzung der AG? Wie habt ihr das gemacht?“ Die Lehrpersonen haben bei der Umsetzung der AGs sehr viele Freiheiten. Das ist sinnvoll, so können sie eigene Ideen beziehungsweise die ihrer Schülerinnen umsetzen. Die Lehrpersonen beim Umsetzen der Ideen zu unterstützen und zu bestärken, ist ein zentraler Aspekt unserer Arbeit.
„Aber gerade aus diesem eben nicht durch einen Lehrplan vorgegebenen freien und kreativen Arbeiten – aus dem sich Einlassen auf die jeweilige Schülerinnengruppe und auf das, was sich vielleicht mit den Mentorinnen ergibt – entstehen die besten AGs.“
Dr. Kathrin Emmerdinger, Wissenschaftlerin
Unsere Treffen sind ein wenig wie eine Ideenbörse. Wir tauschen uns über die jeweils durchgeführten Projekte in den verschiedenen Phasen von CyberMentor Plus aus. Aber es gibt auch ganz konkrete Fragen, beispielsweise: „Wie schaffe ich es, Barrieren abzubauen, so dass meine Mentees ihre Mentorinnen auch wirklich anschreiben?“
Was berichten die Lehrpersonen in Ihrem Schulnetzwerk von ihren AGs? Und wie läuft es beim Mentoring?
Harthun: Alle Lehrpersonen machen wirklich interessante Sachen mit ihren Schülerinnen. Zwei Schulen bauen Wetterstationen, zu denen sie sich intensiv austauschen. Eine Netzwerkschule hat im Juli ein Treffen mit zwei der sieben Schulen organisiert. Dabei haben sich die Schülerinnen an einer Schule getroffen und zusammen experimentiert. Unser Schulnetzwerk funktioniert sehr gut und ist ein Gewinn für alle Beteiligten.

Unsere Gesprächspartnerinnen Dr. Kathrin Emmerdinger von der Universität Regensburg und Julia Harthun vom Otto-von-Taube-Gymnasium in Gauting.
Kathrin Emmerdinger, Julia Harthun
Gelegentlich braucht es ein wenig Zeit, bis der Austausch zwischen den einzelnen Mentorinnen und ihren Mentees richtig in Gang kommt. Falls nötig unterstützen die Lehrpersonen die Schülerinnen individuell. Die AG-Leitungen aus meinem Schulnetzwerk berichten insgesamt, dass das Mentoring meist gut funktioniert und die Mentoring-Paare rege kommunizieren.
Manchmal laden sie auch Mentorinnen in ihre AG ein. Genau das ist ein Vorteil davon, das Mentoring mit einer AG zu verknüpfen: Wenn eine Mentorin besonders engagiert ist, dann profitiert nicht nur eine Schülerin davon, sondern die ganze Gruppe. Das ist der zuvor bereits genannte Synergieeffekt bei der Kombination von Mentoring und AG.
Frau Emmerdinger, was sind Ihre Beobachtungen an den Transferschulen?
Emmerdinger: Im Schuljahr 2024/2025 sind die AGs und das Online-Mentoring an diesen Schulen gestartet. An fast allen Schulen hat es sehr gut funktioniert, Schülerinnen für die Teilnahme zu gewinnen. Das Interesse ist überall sehr groß. Über die Schulen erreichen wir eine breitere Zielgruppe, als mit Online-Mentoring allein. Das haben wir bereits in der ersten Phase gesehen und das wird uns auch jetzt berichtet: Es nehmen nicht nur Mädchen teil, die bereits ein sehr spezifisches Interesse an MINT-Fächern haben, sondern auch einige, die erst einmal hineinschnuppern möchten. Es ist schön zu sehen, wie auch sie durch das Programm begeistert werden können.
An den Transferschulen werden wie schon an den Multiplikatorschulen ganz unterschiedliche Jahrgangsstufen angesprochen. An manchen Schulen werden bewusst die Jüngeren gewählt, um ihr Interesse für MINT früh zu wecken. Sie sollen angeregt werden, bei den verschiedenen Wahlmöglichkeiten in ihrer Schullaufbahn einen Schwerpunkt auf MINT-Fächer zu legen. An anderen Schulen werden bewusst ältere Schülerinnen angesprochen, bei denen es bereits in Richtung Berufsorientierung geht. An einigen Schulen gibt es altersgemischte AGs – das finde ich sehr spannend – beispielsweise aus den Jahrgangsstufen sieben bis zehn. Auch das funktioniert sehr gut, die Älteren dienen dann innerhalb der AG als eine Art Rollenvorbild.
Frau Harthun, was sind Faktoren dafür, dass der Transfer in Ihrem Schulnetzwerk erfolgreich ist?
Harthun: Viele Lehrpersonen sagen, dass sie das Material hilfreich finden, das wir vom Forschungsteam zur Verfügung gestellt bekommen haben. Für unsere Schulnetzwerktreffen passen wir es an. Allerdings stelle ich den Transferschulen das Originalmaterial ebenfalls zur Verfügung. Den AG-Leitungen hilft es sehr, sich untereinander auszutauschen. Wir treffen uns viel in Präsenz, weil das ein intensiveres Arbeiten ermöglicht und den gesamten Prozess erleichtert. Ich hoffe, dass wir weiterhin solche Zeit-Slots einrichten können, in denen wir alle zusammenkommen und gemeinsam arbeiten können, weil es dabei hilft, diese Arbeit im Schulalltag unterzubringen.
Frau Emmerdinger, was sind aus Sicht der Forschung die Bedingungen dafür, dass der Transfer gelingt?
Emmerdinger: Um das herauszufinden, erforschen wir systematisch, wie der Transfer funktioniert. Dafür befragen wir einerseits die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die AG-Leitungen an den Transferschulen, aber auch die Schülerinnen und die Online-Mentorinnen. Wir untersuchen zum Beispiel, ob sich durch die Qualifizierungsmaßnahmen das Handlungswissen, die Kompetenzen und die Selbstwirksamkeit der AG-Leitungen verändern. Die Schülerinnen befragen wir, um zu erfassen, wie sich das Teilnehmen an CyberMentor Plus auf ihre Entwicklung auswirkt.
Wir untersuchen, ob die positive Wirkung, die wir in der ersten Phase beobachtet haben, jetzt reproduziert werden kann. Aus anderen Forschungsfeldern wissen wir, dass Konzepte dann besser wirken, wenn sie durch diejenigen vermittelt werden, die sie entwickelt haben. Deshalb untersuchen wir nun, wie gut in unserem Fall das Vermitteln über die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren funktioniert. Die Befragungen dazu laufen gerade. Ich kann daher nur einen ersten Einblick geben. Beispielsweise haben wir bereits erfasst, dass sich das Handlungswissen der neuen AG-Leitungen in Bezug auf die Gestaltung der AGs und auf die Begleitung des Mentorings positiv entwickelt hat. Nicht nur, was uns berichtet wird, sondern auch die Befragungsdaten deuten also darauf hin, dass der Transfer wirkt.
Ich kann zudem unterstreichen, was auch Frau Harthun vorhin berichtet hat: Die neuen AG-Leitungen müssen es oft erst einmal aushalten, nicht im Detail vorher zu wissen, wie die einzelnen AG-Sitzungen ablaufen werden. Aber gerade aus diesem eben nicht durch einen Lehrplan vorgegebenen freien und kreativen Arbeiten – aus dem sich Einlassen auf die jeweilige Schülerinnengruppe und auf das, was sich vielleicht mit den Mentorinnen ergibt – entstehen die besten AGs.
Frau Harthun, Frau Emmerdinger, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Wissenschaftlerin Dr. Kathrin Emmerdinger
Kathrin Emmerdinger arbeitet am Lehrstuhl für Schulpädagogik (Schulforschung, Schulentwicklung und Evaluation) der Universität Regensburg. Ihre Schwerpunkte sind Lehr- und Lernforschung, Mentoring sowie Begabungs- und Leistungsförderung. Außerdem ist sie in der Lehramtsausbildung tätig. Im Rahmen von „Leistung macht Schule“ war sie in der ersten Phase Projektkoordinatorin für das Teilprojekt Mentoring, in der zweiten Phase koordiniert sie die Schwerpunkte CyberMentor Plus und Individuelle Lernpfade. Sie hat Psychologie an der Universität Regensburg studiert und in Pädagogischer Psychologie promoviert.
Lehrerin Julia Harthun
Julia Harthun unterrichtet am Otto-von-Taube-Gymnasium in Gauting und ist Mitglied der erweiterten Schulleitung. An ihrer Schule ist sie außerdem Beauftragte für „Leistung macht Schule“ und Koordinatorin für CyberMentor Plus. Daneben arbeitet sie im dortigen Kompetenzteam Begabtenförderung mit und koordiniert die Individuelle Lernzeitverkürzung. Julia Harthun hat Lehramt Gymnasium mit den Fächern Mathematik und Psychologie (mit schulpsychologischem Schwerpunkt) an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert.