Mit einer WebQuest Jugendliche für Rhetorik begeistern

Die Lehrerin Regine Heßler und die Wissenschaftlerinnen Carmen Spiegel und Jenny Winterscheid haben gemeinsam eine WebQuest entwickelt und erprobt. Schülerinnen und Schüler lernen konstruktiv Feedback zu geben und entdecken ihr Redetalent.

Schüler redt vor Publikum

Ein Schüler erprobt seine rhetorischen Fähigkeiten vor seiner Klasse.

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Frau Heßler, Frau Professorin Spiegel, Frau Doktorin Winterscheid, Sie arbeiten gemeinsam an einem Projekt, in dem es darum geht, die sprachlich-rhetorische Kommunikation und Argumentation von Schülerinnen und Schülern zu verbessern. Was können wir uns unter sprachlich-rhetorischer Kommunikation vorstellen?

Spiegel: Schon im Alltag werden häufig rhetorische Mittel eingesetzt, seien es Vergleiche, seien es Sprachbilder, seien es Reihungen. Wir benutzen rhetorische Mittel beispielsweise, um Dinge zu erklären und das Zuhören zu erleichtern. Argumentieren, Präsentieren und Feedbackgeben sind zentrale sprachliche Handlungen, die sowohl in der Schule als auch später im Beruf sehr wichtig sind. In der Schule sind diese Kompetenzen nicht nur im Deutschunterricht hilfreich, sondern auch in vielen anderen Fächern. In der Biologie zum Beispiel kann es helfen, neues Wissen durch einen Vergleich mit etwas Bekanntem einzuführen: Das Gefäßsystem einer Pflanze kann man sich ähnlich vorstellen, wie Wasserleitungen in einem Gebäude.

Sie haben gemeinsam in den letzten fünf Jahren Unterrichtsmaterialien entwickelt und erprobt. Was sind das für Materialien?

Winterscheid: Wir haben eine große Bandbreite an Materialien entwickelt: von Konzepten über Arbeitsblätter für den Unterricht bis hin zu digitalen Selbstlernmaterialien. Außerdem schulen wir die Lehrkräfte in Workshops zu gesprochener Sprache, zum Argumentieren, Präsentieren und Feedbackgeben. Lehrerinnen und Lehrer werden im Studium leider noch zu wenig auf die Vermittlung von Kommunikation vorbereitet. In den Workshops geben wir ihnen theoretischen Input und sie können unsere Materialien ausprobieren.

Üblicherweise enthalten die Materialien Hintergrundwissen, das erarbeitet wird, und anwendungsorientierte Übungen. Außerdem wird immer zum Reflektieren aufgefordert. Unsere Materialien sensibilisieren dafür, sich Routinen in der Kommunikation bewusst zu machen. Denn wir müssen etwas zunächst einmal wahrnehmen, damit wir darüber sprechen können.

Die Materialien liegen in unterschiedlichen Niveaustufen vor. Im Unterricht können sie folglich so eingesetzt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert werden. Gerade leistungsstarke und potenziell leistungsstarke Kinder und Jugendliche arbeiten gerne eigenständig. Bei Aufgaben, die sie unterfordern, langweilen sie sich schnell oder verweigern sich sogar. Deshalb haben wir die Aufgaben so gestaltet, dass sie von Schülerinnen und Schülern eigenständig und auch unterschiedlich intensiv bearbeitet werden können. Die Lehrkräfte können die Materialien differenzierend einsetzen.

Frau Heßler, Sie haben einige dieser Materialien in der Schule erprobt. Wie lief das ab?

Heßler: Zuerst gab es eine Schulung für uns Lehrkräfte, um uns dafür zu sensibilisieren, was gesprochene Sprache eigentlich ausmacht und worauf man achten kann. Anschließend haben wir immer wieder Materialien bekommen und diese im Unterricht eingesetzt. Ein besonderer Glücksfall während des Lockdowns war die WebQuest "Ist Rhetorik der Königsweg?". Diese WebQuest konnten wir mit Klassen der Mittelstufe auch im Onlineunterricht durchführen.

Frau Spiegel, können Sie kurz erklären, was WebQuests sind?

Held auf einem Berg

Der Begriff Quest stammt ursprünglich aus der mittelalterlichen Heldendichtung, eine Quest ist aber auch die zugrundeliegende Handlung bei vielen Computerspielen.

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Spiegel: Eine Quest ist eine Suche, in deren Verlauf verschiedene Aufgaben erledigt werden müssen, um das Ziel zu erreichen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der mittelalterlichen Heldendichtung, eine Quest ist aber auch die zugrundeliegende Handlung bei vielen Computerspielen. WebQuests sind eine Abfolge von meist digitalen Aufgaben, um eine zentrale Fragestellung zu bearbeiten. Links unterstützen dabei, nach Informationen zu suchen. Sie führen zu digitalen Inhalten aller Art: zu Texten, zu Videos, zu allem, was das Internet zu bieten hat. Die Schülerinnen und Schüler sollen Recherchekompetenz entwickeln und am Ende ein Produkt erstellen. Bei der erwähnten Rhetorik-WebQuest erarbeiten sie eine eigene Rede und tragen sie sich gegenseitig vor. Am Ende steht ein Feedback- und Reflexionsprozess.

Oft unterstützen Arbeitsblätter die Recherche: Sie können beispielsweise helfen, die gesammelten Informationen strukturiert aufzuschreiben. Außerdem gibt es Beobachtungsbögen für Aufgaben, bei denen es darum geht, sich wechselseitig Feedback zu geben.

Wie lief die WebQuest konkret ab, Frau Heßler?

Heßler: Nach einigen einführenden Aufgaben durften die Jugendlichen direkt echte Reden analysieren: die Wutrede von Greta Thunberg und Reden aus dem Finale des Bundeswettbewerbs „Jugend debattiert“. Abschließend haben sie selbst Reden geschrieben und konnten deren Wirkung in einer Online-Konferenz ausprobieren. Die WebQuest hat die Jugendlichen sehr inspiriert und in verschiedenen Bereichen sehr gut weitergebracht.

Die Schülerinnen und Schüler fanden die Verknüpfung mit den digitalen Medien und insbesondere die Inhalte sehr motivierend. Sie haben gelernt, dass Sprache ein weites und anspruchsvolles Forschungsfeld ist. Ein Schüler schrieb: "Ich habe viele neue Ausdrücke kennengelernt, zum Beispiel, dass die stimmliche Betonung Prosodie genannt wird." Eine Schülerin berichtete: "Ich habe große Unterschiede zwischen dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort gefunden.", und eine andere betonte: "Jetzt achte ich auch mehr auf Merkmale wie Mimik und Gestik." Ein weiterer Schüler erklärte: "Ich weiß nun, worauf ich während Face-to-Face-Gesprächen achten muss."

Spiegel: Feedback von Schülerinnen und Schülern und von Lehrkräften ist für uns ganz zentral, damit wir die Materialien anpassen und stetig weiterentwickeln können. Frau Heßler, Sie haben uns sehr positive Rückmeldungen gegeben. Es gab aber auch Lehrerinnen und Lehrer, die gesagt haben, das ist zu viel für unsere Schülerschaft. Wir haben in diesen Fällen den Unterricht besucht und gesehen, dass Lehrkräfte nicht immer die Möglichkeit haben, mit ihrer Klasse eine ganze WebQuest am Stück durchzuarbeiten. Deshalb haben wir unsere ursprünglich stark aufeinander aufbauenden WebQuests nun eher wie einen Baukasten gestaltet. Man kann jetzt auch Teile herausnehmen und einzeln verwenden. Außerdem bieten wir die WebQuests in verschiedenen Niveaustufen an.

Frau Heßler, gab es überraschende Momente im Unterricht?

Heßler: Für mich war überraschend, dass die Mehrheit der Klasse begeistert mitgemacht hat. An sich ist Rhetorik und Redeanalyse eigentlich kein besonders einfaches Thema, weil es auch sehr abstrakt sein kann. Doch durch die WebQuest wurde es sehr lebendig. Die Jugendlichen haben sich mit Originaltexten auseinandergesetzt. Sie haben sich auch mal durchgebissen: komplexe Artikel gelesen, Fachbegriffe nachgeschlagen und sich Inhalte selbstständig erarbeitet. Allein die Bereitschaft diese Dinge zu tun, hat mich positiv überrascht. Das wäre mit konventionellem Material oder mit traditionellen Unterrichtsmethoden so nicht passiert.

Welche Rolle nehmen die Lehrerinnen und Lehrer während einer WebQuest ein?

Heßler: Unser Ziel ist, die rhetorischen Fähigkeiten in allen sprachlichen Handlungen zu schulen. Folglich müssen diejenigen, die etwas lernen sollen – die Schülerinnen und Schüler –, einen größeren Redeanteil erhalten als die Lehrerin oder der Lehrer. Meine Rolle ist dann nicht mehr die einer dozierenden Lehrerin. Idealerweise bin ich positives Vorbild in der Art, wie ich selbst Rhetorik und Sprache einsetze. Gleichzeitig halte ich mich während der WebQuest mehr im Hintergrund und stehe den Jugendlichen begleitend zur Seite.

Spiegel: Die Unterrichtsforschung zeigt, dass im traditionellen Unterricht die Lehrkraft 50 bis 90 Prozent der Unterrichtszeit spricht. Gerade wenn Sprechen und Kommunizieren das Thema ist, ist es ganz wichtig, dass Schülerinnen und Schüler mehr sprechen. Deswegen sollten beispielsweise auch Erklärungen, die normalerweise die Lehrkraft übernimmt, an die Schülerinnen und Schüler delegiert werden. Der Unterrichtsstoff wird im Vorfeld verteilt, Schülerinnen und Schüler bereiten ihn auf und vermitteln ihn sich dann gegenseitig.

Wie stehen Ihre Kolleginnen und Kollegen den WebQuests gegenüber?

Heßler: Parallel zu mir haben zwei weitere Lehrkräfte mit WebQuests in ihren Klassen gearbeitet. Ein Kollege, der selbst Erklärvideos dreht und sich sehr für die Verknüpfung von Digitalem und Deutschunterricht interessiert, hat sich vertieft mit dem Thema Präsentieren befasst. So war immer wieder für jeden etwas dabei und wir konnten uns gegenseitig ergänzen.

Der Funke in der Projektarbeit ist sowohl über die einzelnen Materialien als auch durch den Kontakt mit Frau Spiegel und Frau Winterscheid übergesprungen. Sie kamen zu Hospitationen in den Unterricht. Die Kolleginnen und Kollegen haben die Gelegenheit, Feedback zu ihrem Unterricht zu bekommen, sehr gerne angenommen.

Die sehr umfassende Denkweise von „Leistung macht Schule“ war inspirierend: Was sind die Faktoren von begabungsförderndem Unterricht? Wie muss sich der Unterricht verändern? Letztlich muss sich auch das Denken der Lehrkräfte verändern! Das ist dann wiederum ein Schulentwicklungsprozess. Wir haben an unserer Schule einen „Runden Tisch Begabungsförderung“ eingerichtet, zusammen mit der Schulleitung und den Personen, die für „Leistung macht Schule“ verantwortlich sind. Er ist offen für alle interessierten Kolleginnen und Kollegen und wir werden immer mehr!

Mitte 2023 beginnt die Transferphase von „Leistung macht Schule“. Was stellen Sie den Schulen, die neu dazu kommen, dann zur Verfügung?

Winterscheid:  Es sind drei Pakete. Das erste Paket enthält Material für die Schülerinnen und Schüler zu den verschiedenen Kompetenzbereichen: Gesprächskompetenzen, Argumentieren, Präsentieren und Feedbackgeben. Das zweite Paket richtet sich an die Lehrkräfte, die unser Material im Unterricht einsetzen. Es umfasst unter anderem Hintergrundinformationen, Tipps für den Einsatz, Anleitungen, Aufgaben(-blätter) und Diagnosebögen. Das dritte Paket besteht aus Workshops für Lehrerinnen und Lehrer zu den Kompetenzbereichen.

Wir bereiten diese Workshops vor und geben den Lehrkräften, die als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren die Workshops für ihre Kolleginnen und Kollegen halten, Materialien dafür an die Hand. Auch in diese Materialen arbeiten wir das Feedback der Lehrkräfte ein und entwickeln sie so weiter. Auf gleiche Weise haben wir in den vergangenen fünf Jahren alle Materialien fortlaufend optimiert. Das Ergebnis sind nun Aufgaben für die Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlicher Bandbreite und unterschiedlicher Tiefe. Diese haben wir thematisch in Heften gebündelt, sodass sich die Lehrkräfte die zum jeweiligen Kompetenzbereich passenden Hefte auswählen können.

Abschließend, was waren Ihre persönlichen Highlights?

Heßler: Die Freude und Leistungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler während der gesamten WebQuests zu erleben, war sehr schön und sehr inspirierend!

Spiegel: Für uns als Forschende waren die Schulbesuche das Highlight: Es ist sehr beeindruckend zu sehen, mit wie viel Herzblut und Engagement in den Schulen gearbeitet wird. Wie sehr sich die Lehrerinnen und Lehrer dafür einsetzen, die Kinder und Jugendlichen voranzubringen.

Winterscheid: Ja, die Schulbesuche waren immer ein Highlight.  Darüber hinaus auch der Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern generell. Wir haben gemeinsam an den Materialien gearbeitet und sie angepasst: Es war und ist ein Gemeinschaftsprojekt. Das ist etwas Besonderes!

Frau Heßler, Frau Professorin Spiegel, Frau Doktorin Winterscheid, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Wissenschaftlerin Professorin Carmen Spiegel

Von 2007 bis 2022 war Carmen Spiegel Professorin für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe mit den Schwerpunkten mündliche Kommunikation und Schriftlichkeit. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Gesprächs- und Unterrichtsforschung, die Online-Kommunikation Jugendlicher, Gesprächsdidaktik und (digitale) Mediendidaktik – von der WebQuest bis hin zum Lehren und Lernen in virtuellen Räumen. Seit 2022 genießt sie ihren Ruhestand.

Wissenschaftlerin Doktorin Jenny Winterscheid

Seit 2018 ist Jenny Winterscheid Mitarbeiterin im Teilprojekt „Adaptive Formate sprachlich-literarischer Förderung: sprachlich-rhetorische Kommunikation/Argumentation“ unter der Leitung von Professorin Carmen Spiegel. Sie ist Mitbegründerin des Arbeitskreises „Gesprächsanalyse in der Lehrer*innenbildung“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem sprachlich-rhetorische Kommunikation (Präsentation, Feedbackgeben) begabter und leistungsstarker Schülerinnen und Schüler, Gesprächskompetenzen und Lernen online (zum Beispiel mit WebQuests).

Lehrerin Regine Heßler

Regine Heßler ist Oberstudienrätin und unterrichtet Deutsch und Englisch am Graf-Stauffenberg-Gymnasium in Flörsheim am Main. Sie koordiniert die Projektarbeit der Schule im Teilprojekt 17 zu „Adaptiven Formaten sprachlich-literarischer Förderung: sprachlich-rhetorische Kommunikation/Argumentation“ und ist Mitglied im Koordinationsteam von „Leistung macht Schule“ am Graf-Stauffenberg-Gymnasium.