So begeistern Kinder und Jugendliche mit Kreativität und Leistungsstärke in Mathe

Mathematiklehrerin Anna Maria Mehring entwickelt an der Maria-Montessori-Gesamtschule Aachen Förderkonzepte für Leistungsstarke in den MINT-Fächern, vor allem in der Mathematik.

Lehrerin mit Schülern

Anna Mehring und ihre Schulklasse arbeiten mit einem Forschertagebuch.

DLR Projektträger / Vanessa Krohn-Trinius

Leistung-macht-Schule.de: Frau Mehring, was erhoffen Sie sich von Ihrer Projektarbeit  für „Leistung macht Schule“?

Für meine Schülerinnen und Schüler erhoffe ich mir, dass Sie einen anderen Blick auf die Mathematik bekommen, Freude an Leistung entwickeln und herausragende Leistungen auch außerhalb von klassischen Unterrichtsinhalten zeigen. Für meine Schule wünsche ich mir, dass wir durch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse neue Anregungen für den Unterrichtsalltag bekommen.

Warum gibt es gerade in Mathe noch Potenzial, Leistungsstarke zu finden und zu fördern?

Im Schulalltag von vielen Kolleginnen und Kollegen sind das Erkennen und das Fördern von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern keine zentralen Bestandteile der Arbeit. Das ist in der Vergangenheit durch die intensive Förderung von Leistungsschwächeren ein wenig zu kurz gekommen. Deshalb wollen wir den Fokus auf die Kinder und Jugendlichen legen, die ein besonderes Potenzial in Mathe mitbringen, damit auch sie glänzen können.

Dafür müssen wir noch genauer hinschauen und die Anzeichen von Leistungsstärke erkennen. Darin hat Schule durchaus Nachholbedarf. Als Montessori-Schule steht bei uns zwar die individuelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt, aber auch wir könnten noch weiter gehen.

Warum haben Sie sich dafür stark gemacht, an diesem Projekt von „Leistung macht Schule“ mitzuwirken?

Weil ich während meines Studiums bei Herrn Professor Käpnick, dem Projektleiter, an dem Förderangebot „Mathe für kleine Asse“ mitgearbeitet habe. In dieser Zeit habe ich ein großes Interesse an mathematisch leistungsstarken Schülerinnen und Schülern mit ihren jeweiligen Hintergründen und Geschichten entwickelt. Ich bin von offenen Aufgaben  überzeugt, weil Kinder und Jugendliche damit zeigen können, was in ihnen steckt. Das Beste daran ist, dass sie ihre Potenziale selbst entdecken und ausschöpfen.

Als die Ausschreibung zu „Leistung macht Schule“ veröffentlicht wurde, war mir sofort klar, dass wir uns dafür bewerben sollten. Zu dritt, unsere Schulleiterin, unsere Koordinationslehrerin für Begabungsförderung und ich, haben die Bewerbung verfasst und sie sogar mit dem privaten PKW nach Köln gefahren, um sie pünktlich einzureichen. Für uns war es ein riesiges Erfolgserlebnis, als die Zusage kam.

Als Montessori-Schule ist es Ihnen und Ihrem Kollegium ohnehin ein Anliegen, Kinder und Jugendliche individuell, nach ihren speziellen Interessen und im jeweils eigenen Tempo zu fördern. Was können Sie durch die Initiative noch lernen?

Lernen darf und soll man immer – als Lehrkraft und auch als Schule! Deshalb haben wir vor einiger Zeit im Fach Mathematik für die unteren Jahrgangsstufen ein Baustein-Konzept entwickelt, das die Montessori-Pädagogik noch stärker aufgreift: Jede Schülerin und jeder Schüler darf mit Hilfe von Bausteinen selbständig, im eigenen Tempo und im bevorzugten Schwierigkeitsgrad lernen. Das bedeutet aber, dass manche Kinder schon nach wenigen Wochen mit einem Baustein fertig sind und die Klassenarbeit schreiben möchten – und andere nicht. Wir Lehrkräfte müssen also ziemlich flexibel sein. Wenn bei uns jemand gut und schnell ist, kann sie oder er entweder Folgethemen aus dem nächsten Schuljahr bearbeiten, oder ein Thema wählen, das ihr oder ihm Spaß macht. Gemeinsam mit Timo, einem meiner Schüler (siehe Interview unten), haben wir zum Beispiel entschieden, dass er sich mit der optischen Täuschung beschäftigt, die ihn so sehr interessiert.

Das Baustein-Konzept hat sich also inzwischen bewährt. Und wie kommen Neuerungen durch „Leistung macht Schule“ zum Einsatz?

Für unser Projekt haben wir einen unserer Mathe-Bausteine als „Forscherstunde“ weiterentwickelt. Denn wir wollen gerne an dem für unsere Schulform sinnvollen System festhalten und trotzdem etwas Neues ausprobieren. Außerdem möchten wir so unsere Entwicklungen durch „Leistung macht Schule“ dauerhaft integrieren. Deshalb sollte es kein Format sein, das einfach endet, wenn das Projekt ausläuft.

Und was genau machen Sie in Ihren Forscherstunden anders?

Wir können nun verstärkt offene Problemaufgaben in den Unterricht einbringen. Wir hatten zwar auch vorher schon Knobelaufgaben in unseren Bausteinen, aber die waren geschlossen. Die offenen, substanziellen Problemaufgaben, die wir jetzt im Projekt nutzen, sind für mich hochspannend, weil meine Schülerinnen und Schüler mit ihnen auf einmal ganz andere Leistungen zeigen. Schaut man in Richtung Diagnose von Leistungspotenzialen, sind diese Stunden unheimlich wichtig. Durch die oft kreativen Lösungen bekomme ich einen völlig neuen Blick auf die Kinder.

Wie würden Sie eine ihrer Forscherstunden beschreiben?

Wir beginnen mit einer Plenumsphase, in der das Thema eingeführt wird. Danach arbeiten die Kinder eigenständig, in einem selbst gewählten Rahmen: mit Mitschülerinnen und Mitschülern, die sie mögen und an einem Ort, an dem sie sich wohlfühlen. Nach der Rückkehr aller Gruppen stellen wir im Plenum die unterschiedlichen Ergebnisse vor und die Kinder genießen die „Oohs“ und „Aahs“ der anderen. Außerdem führen sie ein Forschertagebuch, damit ihr Wissen und ihre Lösungswege kompakt dokumentiert sind. Es ist ein richtiges Tagebuch. In der Art, wie die Kinder es führen, spiegelt es die Menschen dahinter und ihre persönlichen Fortschritte wider.

Und wie reagieren die Kinder darauf?

Toll daran ist, dass wirklich ALLE motiviert sind und arbeiten. Uns ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler einfach loslegen und die Themen bearbeiten, auch wenn die Art und Weise noch nicht perfekt ist. Oft greifen sie in ihrem Forschertagebuch im Nachhinein Probleme noch einmal auf oder dokumentieren sie anders. Ihr Tagebuch wächst ihnen richtig ans Herz.

Wir freuen uns auch sehr über Situationen, in denen Kinder und Jugendliche, die unsere Sprache noch nicht so gut beherrschen, zu besonderen Leistungen kommen. Natürlich ist in der Mathematik – abgesehen von klassischen Textaufgaben – nicht so viel Sprache nötig und dadurch haben die Schülerinnen und Schüler ganz andere Spielräume. Aber mit den offenen Aufgaben und dem Forschertagebuch finden alle ihren eigenen Zugang.

Sie und Ihr Kollegium haben sich bereits mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der Uni Münster getroffen. Worüber haben Sie sich ausgetauscht und wie hat es auf Sie gewirkt?

Professor Käpnick und seine Mitarbeiterin Lea Schreiber haben uns schon zweimal besucht. Wir haben ihnen angeboten, in unserem Unterricht zu hospitieren. So haben die beiden sehr schnell erkannt, was wir leisten und wo noch Entwicklungspotenzial besteht. Professor Käpnick sagte: „Ich vermisse hier die wahre Mathematik, das Spielerische, das Kreative; im Prinzip den offenen Umgang mit der Mathematik.“ Darauf folgte ein sehr offener Austausch und wir haben unter anderem die Forscherstunden eingeführt.

Bei unserem zweiten Treffen ging es vorrangig darum, die Kollegen ins Boot zu holen. Eingestiegen sind wir mit einer Knobelaufgabe von einem australischen Mathematiker. Das war wahnsinnig spannend, weil wir genau wie die Kinder reagiert haben. Oft kommen wir als Lehrkräfte ja gar nicht zum Knobeln. Alle waren mit großem Eifer dabei und die glänzenden Augen waren nicht zu übersehen. An diesem Tag haben wir Lehrkräfte Professor Käpnick mit unserem Forschertagebuch überrascht und besprochen, was wir als Schule und was wir Mathe-Fachlehrer brauchen.

Was können die Forscherinnen und Forscher durch die Zusammenarbeit mit Ihrer Schule lernen?

Sie können ganz viel Alltagserfahrung von uns mitnehmen, vor allem in Bezug auf die Heterogenität der Klassen und die Förderung leistungsstarker und leistungsschwacher Kinder. Für mich gehört das übrigens zusammen. Ob ich Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf oder mit einer speziellen Begabung vor mir habe, beides erfordert eine besondere Form der Unterstützung von mir. Und wie man diese Inklusion in zwei Richtungen gut leben kann, darüber können die Forschenden an unserer Schule sehr viel lernen.

Frau Mehring, was begeistert Sie persönlich an der Mathematik?

Die Mathematik ist einfach ehrlich! Egal in welchen Bereich ich in dieser Wissenschaft gehe, überall finde ich eindeutige Beweise. Ich kann Dinge zwar neu entdecken, sie aber trotzdem auf klare Gesetzmäßigkeiten zurückführen. Im Aachener Dom habe ich mir mit Professor Käpnick die Mosaike unter dem Aspekt der mathematischen Muster und Strukturen angeschaut. Religion ist übrigens mein zweites Fach. Das eine ist Wissen, das andere ist Glauben. Ich finde das passt wunderschön zusammen.

Und worüber freuen Sie sich im Unterricht am meisten?

Wenn Schülerinnen und Schüler sich über sich selbst freuen, zum Beispiel mit einem „Aha-Erlebnis“. Das sind große Glücksmomente. Auch erfüllt es mich, wenn ich Kindern, die Angst vor der Mathematik entwickelt haben, diese nehmen kann und sie wieder Spaß an Mathematik haben.

Vier Fragen an Timo (10 Jahre)

1. Timo, du bist richtig gut in Mathe. Was begeistert dich an dem Fach?

Es ist mein Lieblingsfach, weil ich es für alles brauchen kann. Sonst könnte man nie etwas bauen oder einen Preis zusammenrechnen. Ich habe mir auch viele Ziele gesetzt, für die ich Mathe brauche: Ich möchte Ingenieur werden. Wenn das nicht klappt, Architekt oder Dachdecker.

In Gedanken habe ich als Ingenieur schon mal eine Uhr geplant, die einen Hologramm-Bildschirm hat. Darauf könnte man viele Funktionen nutzen und vieles verändern, aber auch die Zeit noch sehen und ein richtiges Bild. Und ich will ein Auto erfinden, das eine Batterie hat, die niemals leer wird, so dass man auch die Natur viel mehr schützt.

2. Wenn dich ein anderes Kind danach fragen würde, was ihr in den Forscherstunden bei Frau Mehring macht, was würdest du erzählen?

Ich würde sagen: Forscherstunden sind Stunden, in denen wir Knobelaufgaben und Aufgaben bekommen, die wir nicht auf den ersten Blick lösen können. Wir versuchen und probieren mehrere Möglichkeiten aus, um etwas herauszufinden. Dabei haben vor allem die Kinder Spaß, denen Knobelaufgaben gefallen. Dazu gehöre ich. Wir helfen uns auch gegenseitig am Tisch. Manchmal strengt mich helfen an. Aber eigentlich finde ich das sehr gut und ich möchte lernen, sehr gut zu helfen.

3. Gibt es auch etwas, worin du nicht so gut bist?

In Englisch. Da habe ich manchmal meine Schwierigkeiten. Und in Deutsch. Aber ich fange an, die Kurve zu kriegen. Ich habe einfach immer weitergemacht und nach einer Zeit bin ich zu den Rechtschreibforschern, einer Fördergruppe in Deutsch, gekommen. Das hilft mir auch sehr.

4. Und was magst du, wenn du nicht in der Schule bist?

Ich mag Fußball. Weil ich da in der Abwehr ganz schnell rennen und mich richtig auspowern kann. Und Große „wegbolzen“, das finde ich auch ganz toll.

Anna Maria Mehring

Als gebürtige Aachenerin studierte Anna Maria Mehring in Münster Religion und Mathematik für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen. Nach ihrem Referendariat arbeitete sie anderthalb Jahre an einer städtischen Grundschule, bevor sie an die Maria-Montessori-Gesamtschule Aachen wechselte. Dafür absolvierte sie einen Montessori-Zertifikatskurs, der sich speziell auf die Sekundarstufe I bezieht. In ihrer Elternzeit mit Zwillingen (sie ist Mutter von drei Kindern) brachte eine Begegnung mit ihrem ehemaligen Professor Friedhelm Käpnick sie auf den Weg der Begabungsförderung zurück: Sie machte berufsbegleitend das ECHA-Diplom am Internationalen Centrum für Begabungsforschung in Münster. An ihrer Schule arbeitet Anna Maria Mehring nach dem Motto: „Wer Stärken stärkt, schwächt Schwächen und beglückt“ (nach Joëlle Huser).