Wie leistungsfördernd ist unsere Schule? Mit dem SELF finden wir es heraus!

Katharina Weiand von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und Michaela Rastede vom Landesinstitut für Schule in Bremen haben den SELF mitgestaltet: ein (Selbst-)Reflexionsinstrument, mit dem Schulen herausfinden, wie leistungsfördernd sie schon sind und wohin sie sich entwickeln können.

Lehrerinnen und Lehrer im Gespräch

Erfolgreiche Schulentwicklung basiert auf einem intensiven Austausch

Adobe Stock / AYAimages

Was ist der SELF, einfach erklärt?

Katharina Weiand: Der SELF ist ein (Selbst-)Reflexionsleitfaden, den es einmal in Form eines bearbeitbaren Heftes und neuerdings auch als Kartenset gibt. Damit diskutieren Schulgemeinschaften Fragen, wie zum Beispiel: Wie begabungs- und leistungsfördernd ist unsere Schule? Was können wir tun, um die Interessen und Fähigkeiten all unserer Schülerinnen und Schüler anzusprechen und ihre Begabungen besser zu fördern? Der SELF bietet angeleitete Gesprächsanlässe und begleitet die Schulgemeinschaft in einen Schulentwicklungsprozess hinein und hindurch.

Warum brauchen Schulen den SELF?

Michaela Rastede: Schulentwicklung sollte systematisch betrieben werden. Sonst wird sie schnell zu einer Art Pop-up-Kultur, die in der Schule nicht lange genug positiv wirkt. Aber gerade Schulentwicklung muss nachhaltig sein, um wirken zu können – und dabei hilft der SELF.

Der SELF ist in dem großen Feld der Begabungsförderung wie ein Kompass oder eine Landkarte, die Orientierung bieten.

Katharina Weiand

Weiand: Der SELF ist in dem großen Feld der Begabungsförderung wie ein Kompass oder eine Landkarte, die Orientierung bieten. Mit ihm können alle Beteiligten ressourcen- und stärkenorientiert auf die Kinder und Jugendlichen, auf das eigene pädagogische Handeln und auf ihre Schule schauen und sich dann ganz gezielt bestimmte Entwicklungsschritte vornehmen. Allerdings sagt mir der SELF nicht, wie ich meinen Unterricht oder die Kommunikationsstrukturen in der Schule verbessern kann. Hierfür stehen die passenden P3-Produkte zur Verfügung. Das sind Maßnahmen, Strategien und Materialien, die von Lehrpersonen und Forschenden im Rahmen von „Leistung macht Schule“ entwickelt worden sind. Sie sind den sechs SELF-Dimensionen zugeordnet und befördern alle eine begabungs- und leistungsförderliche Schul- und Unterrichtskultur.

Das ist der SELF

Puzzlekreis SELF

Ein Puzzlekreis zeigt die sechs Schulentwicklungsdimensionen des SELF, die wechselseitig verzahnt sind. Sie helfen dabei, Schule und Unterricht begabungs- und leistungsfördernd zu gestalten.

„Leistung macht Schule“-Autorengruppe Karlsruhe-Rostock (2021) / Katharina Weiand, PH Karlsruhe

Die Abkürzung steht für „Schulentwicklungs-Dimensionen für eine begabungs- und leistungsfördernde Schulgestaltung“. Mit diesem (Selbst-)Reflexionsleitfaden können Schulen eine Ist-Stand-Analyse durchführen und entdecken so, wie begabungs- und leistungsförderlich ihr Unterricht und ihre Schule sind. Mit dem SELF stecken sie sich bestimmte Ziele und planen darauf aufbauend ihre nächsten Entwicklungsschritte. Der SELF sollte in einen langfristigen Schulentwicklungsprozess eingebettet sein und wiederholt genutzt werden. Anhand von sechs Dimensionen leitet er durch den Prozess (siehe Abbildung).

Der Leitfaden ist von zwei Forschungsteams an der Universität Rostock und an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe gemeinsam mit Lehrpersonen von Schulen entwickelt worden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben außerdem mit Vertretungen von Landesinstituten beziehungsweise Qualitätseinrichtungen der Länder gesprochen, damit der SELF alle Rahmenbedingungen der einzelnen Länder beachtet.

Wie ist der SELF entstanden?

Weiand: Als Forschungsteam sind wir häufig gefragt worden, was eine begabungsfördernde Schule eigentlich ausmacht. Auf diese Fragen liefert der SELF eine differenzierte Antwort. Bei der Entwicklung des SELF war es uns wichtig, die Instrumente, die in den 16 Ländern schon für die Schulentwicklung genutzt werden, zu berücksichtigen, damit wir keine Parallelstrukturen schaffen. Also haben wir alle Vorgaben der Länder für Begabungsförderung genau angeschaut, ausgewertet und durch wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Schulentwicklungs- und Begabungsforschung ergänzt. Dadurch können nun wirklich alle Schulen in ganz Deutschland den SELF nutzen.

Frau Rastede, Sie und Ihr Team haben den SELF verändert. Was ist Ihnen am Landesinstitut in Bremen besonders wichtig?

Rastede: Uns geht es um eine evidenzbasierte Schulentwicklung. Wir möchten, dass die positive Entwicklung einer Schule sichtbar gemacht wird, quasi gemessen werden kann. Denn nur so können wir beurteilen, ob überhaupt eine Entwicklung stattgefunden hat. Deshalb wollten wir strukturierende Prozesse und die Beurteilung der tatsächlichen Wirkung an den Schulen stärker beachtet wissen. So haben mein Team und ich vorgeschlagen, die Merkmalskarten des SELF in die drei Bereiche Struktur, Prozess und Wirkung einzuteilen. Außerdem wünschen wir uns, dass unsere Schulen die P3-Produkte gut nutzen können, und dafür ist der SELF grundlegend. Gemeinsam mit den Forschenden haben wir den SELF dahingehend verändert. Wissenschaft und Praxis verzahnen sich bei „Leistung macht Schule“ auf eine Art und Weise, die für alle gewinnbringend ist.

Weiand: Auch die Idee, aus dem SELF ein Kartenset zu gestalten, kommt von Frau Rastedes Team. Mit dem neuen Format können die Beteiligten interaktiver arbeiten. Gerade größere Gruppen kommen damit besser in einen wirklichen Austausch.

Merkmalskarten

Mit den Merkmalskarten kann ein Schulteam feststellen, ob und wie diagnostische Verfahren an der Schule eingesetzt werden. Diagnostik ist wichtig, um Talente, Interessen und Potenziale bei Schülerinnen und Schülern zu erkennen. Die Karten sind der Dimension „Diagnosebasierte Förderung als Grundprinzip“ zugeordnet. 

„Leistung macht Schule“-Autorengruppe Karlsruhe-Rostock (2021) / Katharina Weiand, PH Karlsruhe

Welcher Schritt ist der erste für eine gute Schulentwicklung?

Rastede: Mit dem Kartenset schaffen wir Gesprächsanlässe für eine Ist-Stand-Analyse in der Schule zu den sechs SELF-Dimensionen. Die Teilnehmenden stellen dabei schnell fest, welche Aspekte der Begabungsförderung sie an ihrer Schule schon umsetzen und diskutieren darüber, welche Veränderungen sie zeitnah anstreben und welche erst später. Das sollte als sich wiederholender Prozess verstanden werden. Schulentwicklung ist letztlich wie die Pflege eines Gartens. Die Japaner sagen: Wer behauptet, sein Garten sei fertig, der hat ihn nicht verdient. Und ich finde, wer behauptet, seine Schulentwicklung sei abgeschlossen, der hat seine Schule nicht verdient.

Weiand: Wir Forschende wünschen uns, dass in den Teams, die mit dem SELF arbeiten, alle Menschen aus der Schulgemeinschaft vertreten sind. Die Schulleitung, die Lehrpersonen, die Schulsozialarbeit, die Schulpsychologie, die pädagogischen Fachkräfte aus dem Nachmittagsbereich und natürlich die Schülerschaft und die Eltern. Wenn so ein Startpunkt als pädagogischer Tag realisiert werden kann, ist das natürlich besonders toll. Ein pädagogischer Tag bietet sich aber auch für die vertiefte Arbeit an der zweiten SELF-Dimension „Pädagogischer Grundkonsens“ an, um damit das Fundament für die weitere Schulentwicklung zu legen. Denn ein gemeinsamer Wertehorizont sowie eine gemeinsame Vision und Zielperspektive sind sinnstiftend. So können alle an einem Strang ziehen.

Portrait Gesprächspartnerinnen Katharina Weiand und Michaela Rastede

Unsere Gesprächspartnerinnen Katharina Weiand von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und Michaela Rastede vom Landesinstitut Bremen.

Katharina Weiand, Michaela Rastede

Gibt es besondere Herausforderungen bei der Schulentwicklung?

Weiand: Es ist es nicht einfach, die Schulentwicklung auf alle Schultern zu verteilen. Oft liegt sie in den Händen einzelner, sehr engagierter Lehrpersonen. Damit Schulentwicklungsvorhaben systematisch umgesetzt werden, braucht es nicht nur Commitment. Es geht auch um die Entwicklung von Strukturen und Prozessen, um Schulentwicklungskapazitäten nachhaltig aufzubauen. Dazu müssen manchmal auch Alltagsstrukturen aufgebrochen werden. Im Schulalltag muss Zeit für Kooperation freigeschaufelt und generell müssen Kommunikationsspielräume geschaffen werden. Das ist nicht leicht, aber realisierbar und zudem eine wichtige Gelingensbedingung.

Wir begleiten die Schulen wie Scouts, die dabei helfen, die Richtung nicht aus den Augen zu verlieren. Aber es ist wichtig zu betonen, dass die Schulen ihren Weg selbst gestalten, so wie er zu ihnen passt.

Michaela Rastede

Wie machen Sie Schulentwicklung in Bremen sichtbar?

Rastede: In Form eines Audits. Das ist allerdings keine Bewertung oder Messung im klassischen Sinne, sondern eine sichtbar gemachte Entwicklung, die wir mit den Schulen gemeinsam beobachten, interpretieren und bewerten. Darauf können sie sehr stolz sein, denn schließlich gehen sie dafür drei Jahre lang an ihre Substanz. Wir begleiten die Schulen wie Scouts, die dabei helfen, die Richtung nicht aus den Augen zu verlieren. Aber es ist wichtig zu betonen, dass die Schulen ihren Weg selbst gestalten, so wie er zu ihnen passt. Nach einem erfolgreichen Audit verleiht die Bremer Senatorin für Kinder und Bildung ihnen das Gütesiegel „Begabungsfördernde Schule Bremen“.

Wie läuft ein Audit- beziehungsweise Entwicklungsprozess genau ab?

Rastede: Das Team des Landesinstituts ist auf Wunsch schon bei dem ersten konzeptionellen Treffen dabei, an dem der SELF genutzt wird. Darauf aufbauend legt die Schulgemeinschaft einen Entwicklungsplan fest. Wir bieten insgesamt 33 Merkmale an, die wir beobachten können. Für einen Zertifizierungsprozess suchen sich die Schulen mindestens 22 Merkmale aus, die sie erreichen wollen. Nach circa drei Jahren beurteilen wir gemeinsam, ob die Schulentwicklung tatsächlich sichtbar geworden ist. Das ist immer der schönste Moment, wenn die Schulen eine Wirkung feststellen. Dann freuen sich alle umso mehr über das Zertifikat.

Wie sind die Rückmeldungen dazu?

Rastede: In der Regel sind alle Schulen sehr glücklich darüber, die Mühen auf sich genommen zu haben, eben weil der Prozess klärt und wirkt. Er wird auch als sehr gemeinschaftsbildend wahrgenommen. Viele Schulleitungen bedanken sich sehr herzlich bei uns, weil ihre Schulen gesehen wurden und weil wir ihre Arbeit wertschätzen. Das ist ziemlich bewegend.

Grafik Schlagwörter zu SELF

Die Schlagwörter in der Grafik zeigen, wie Lehrpersonen die erste Analyse mit dem SELF beurteilen. 

Michaela Rastede, Landesinstitut Bremen

Für „Leistung macht Schule“ wurden gute Instrumente wie der SELF entwickelt. Warum sollten wir diese Chance des Transfers nicht nutzen? Als Landesinstitut ist es uns wichtig, dass Schulentwicklungsmaßnahmen an möglichst vielen Schulen ankommen.

Michaela Rastede

Welches Hauptinteresse haben Sie als Landesinstitut dabei?

Rastede: Für „Leistung macht Schule“ wurden gute Instrumente wie der SELF entwickelt. Warum sollten wir diese Chance des Transfers nicht nutzen? Als Landesinstitut ist es uns wichtig, dass lernwirksame Schulentwicklungsmaßnahmen an möglichst vielen Schulen ankommen. Wir brauchen den direkten Weg in den Unterricht, zu den Kindern und Jugendlichen, zu den Eltern und zu den Lehrpersonen. Und dafür sind dieser Prozess und dieses Material einfach fantastisch geeignet.

Weiand: Eine begleitete Schulentwicklung mit einem frischen Blick von außen ist immer hilfreich. Das wurde uns von Schulen häufig zurückgemeldet. Grundsätzlich kann eine Schulgemeinschaft aber auch eigenständig mit dem SELF arbeiten und eine begabungsfördernde Schulentwicklung aus eigener Kraft voranbringen. Der SELF ist also auf unterschiedliche Weise nutzbar – je nach schulischen Rahmenbedingungen. Das ist besonders für Flächenländer wichtig, in denen gar nicht alle Schulen von einem Landesinstitut angesteuert werden können.

Sie auditieren im Team. Wer macht dabei mit und was passiert genau?

Rastede: In Bremen werden die Audit-Teams mit Lehrpersonen aus anderen Schulen besetzt. Sie sind Teil des Netzwerks der begabungsfördernden Schulen. Weil sie vor dem Audit vom Landesinstitut qualifiziert werden, sind sie sehr gute Beraterinnen und Berater. Die Teams sprechen während des Audits mit Lehrkräften, Schulleitungen, Eltern und Schülerinnen und Schülern. So erfahren sie, ob die ausgewählten Merkmale tatsächlich auch überall, vor allem aber im Unterricht, angekommen sind.

„Ist das nicht Transfer pur, dass wir über Landesgrenzen hinweg Materialien austauschen, um lernwirksame, leistungsförderliche Schulentwicklung voranzutreiben? Damit werden wir sehr viel bewegen können.

Michaela Rastede

Was sagen die anderen Länder zu Ihrer Arbeit mit dem SELF?

Rastede: Sie haben großes Interesse! Nachdem wir die SELF-Karten und unseren Zertifizierungsprozess offiziell vorgestellt haben, wollten viele Landesinstitute beziehungsweise Qualitätseinrichtungen mehr darüber wissen. Deshalb haben wir uns live in Hamburg getroffen und dazu ausgetauscht. Inzwischen sind daraus Online-Workshops entstanden, bei denen uns auch das SELF-Forschungsteam von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe unterstützt. Einige Länder überlegen dabei gemeinsam, wie sie das gesammelte Wissen transferieren können. Bayern zum Beispiel entwickelt gerade ein Fortbildungsmodul für Lehrpersonen, das auf unseren Zertifizierungsmaterialien aufbaut. Ist das nicht Transfer pur, dass wir über Landesgrenzen hinweg Materialien austauschen, um lernwirksame, leistungsförderliche Schulentwicklung voranzutreiben? Damit werden wir sehr viel bewegen können.

Frau Weiand, Frau Rastede, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Michaela Rastede vom Landesinstitut in Bremen

Ursprünglich Lehrerin, Inklusionspädagogin und Schulleiterin, leitet Michaela Rastede derzeit die Vernetzungsstelle Begabungsförderung am Landesinstitut in Bremen und die länderübergreifende Lernplattform „Digitale Drehtür“. An der Humboldt-Universität zu Berlin hat sie Sonderpädagogik und Germanistik für die Sekundarstufen I und II studiert. Michaela Rastede setzt sich vor allem für Netzwerkarbeit sowie für Schul- und Kitaentwicklung ein und sieht Potenzialentfaltung als zentrale Aufgabe aller Bildungseinrichtungen an.

Wissenschaftlerin Katharina Weiand

Katharina Weiand arbeitet am Institut für Allgemeine und Historische Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Für „Leistung macht Schule“ war sie zunächst in den Teilprojekten zur Schulentwicklung tätig. In der zweiten Phase wirkt sie im Bereich der Begleitforschung mit. Eines ihrer Forschungsthemen ist die Verbindung von Biographie, Bildungsgerechtigkeit und Begabung. Sie hat Germanistik und Philosophie studiert und anschließend den Masterstudiengang Bildung – Kultur – Anthropologie absolviert.