Ein Blick über die Schulter von… Jennifer Kühne, Lehrerin an der Offenen Ganztagsgrundschule Saarbrücken-Weyersberg

Jennifer Kühne ist überzeugt von der Wirkung des offenen Experimentierens im Sachunterricht. Gemeinsam mit Forschenden hat sie Experimentierboxen entwickelt und erprobt. Jetzt gibt sie ihre Erfahrungen damit weiter.

Kinder im Unterricht

Natalia / Adobe Stock

Frau Kühne, worum geht es in Ihrem „Leistung macht Schule“-Projekt?

Kühne: Innerhalb der MINT-Förderung haben meine Kollegin Stella Körösi und ich mit Unterstützung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Forschungsverbund Experimentierboxen für den Sachunterricht an der Grundschule entwickelt. Damit können unsere Schülerinnen und Schüler lernen, naturwissenschaftlich zu denken und zu handeln. Das geschieht über das Beobachten, Beschreiben und Experimentieren. Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder mithilfe unserer Experimentierboxen eigene Fragestellungen entwickeln, ausprobieren und selbständig Antworten finden dürfen. Wir haben – passend zu unserem Lehrplan an der Schule – Experimentierboxen zu den Themen Licht und Schatten, Farbe, Wasser, Luft und Blutkreislauf entwickelt. Jede Box umfasst mehrere Unterrichtseinheiten und kann innerhalb eines offenen Unterrichtskonzepts genutzt werden.

Welche Vorteile ergeben sich durch das offene Experimentieren?

Kühne: Mit Spaß lernen Kinder am besten. Sie entwickeln im Probieren eigene Forschungsfragen, strukturieren ihre Vorgehensweise und erlangen dadurch selbst erarbeitete Erkenntnisse. Das sind große persönliche Erfolgserlebnisse. Zudem organisieren sich die Kinder oft in einer Gruppe. Dadurch – aber vor allem durch das experimentelle Vorgehen – werden auch Kinder abgeholt, die sonst nicht oder kaum am Unterricht teilnehmen. Besonders für Schülerinnen und Schüler mit Sprachbarrieren bieten die Experimentierboxen einen ansprechenden Zugang zu naturwissenschaftlichen Themen. Faszinierend finde ich, wie gut sich das selbst erarbeite Wissen verankert: Auch ein halbes Jahr später konnten sich die Kinder noch ganz genau daran erinnern, was sie mit den Experimentierboxen gelernt haben.

Als Multiplikatorin geben Sie Ihre Erfahrung nun an interessierte Schulen im Saarland weiter. Gibt es beim freien Experimentieren besondere Herausforderungen für Lehrpersonen?

Kühne: Lehrerinnen und Lehrer sollten anfangs eine stille Zeit zulassen können. Meine Schülerinnen und Schüler saßen teilweise eine Schulstunde um eine Box herum und haben die Dinge, die sie sahen, nur benannt. Das war natürlich toll für die Kinder mit Sprachbarrieren. Erst danach haben sie Vermutungen angestellt, viel ausprobiert und am Ende einen richtigen Versuch begonnen. Die Zeit dafür sollten wir ihnen geben.
Außerdem ist es hilfreich, wenn Lehrpersonen scheinbar unlogisches Handeln tolerieren: Bei einem Experiment zum Thema Farbe haben meine Schülerinnen und Schüler Blumen, die eingefärbt werden sollten, mit der Blüte ins Wasser gestellt. Das musste ich erst einmal aushalten. Aber dann haben sie gemerkt, dass Blumen in dieser Position die Farbe nicht gut annehmen und ihren Versuch entsprechend angepasst. Anschließend haben sie sich gefragt, warum das so ist und es im Austausch miteinander herausgefunden.

Welchen Tipp geben Sie den Lehrerinnen und Lehrern an den Transferschulen für ihre Arbeit mit Experimentierboxen mit auf den Weg?

Kühne: Ich motiviere sie dazu, mutig zu sein. Als wir unsere ersten Boxen entwickelt haben, waren wir viel zu theoriegeleitet und bisweilen auch zu sehr an einem geschlossenen Unterrichtskonzept verhaftet. Davon müssen wir uns lösen. Außerdem waren unsere ersten Versionen zu umfangreich und mit zu viel schriftlichem Material versehen. Aber je offener die Versuche in den Boxen ausgerichtet sind, umso besser finden die Kinder ihren eigenen Versuchsweg damit.

In unseren jetzigen Experimentierboxen gibt es nur ein Forscherblatt, auf dem die Schülerinnen und Schüler ihre Vermutung und ihr Ergebnis – je nach Jahrgang – aufmalen oder aufschreiben können, und Tippkarten, falls die Schülerinnen und Schüler einen kleinen „Denkanstoß“ brauchen. Die hinter den Versuchen stehende Theorie besprechen wir am Ende gemeinsam, aber herausfinden sollten die Kinder sie beim offenen Experimentieren selbst. Darauf kommt es an. Ihre Lehrerinnen und Lehrer sollten ihnen dabei ganz viel zutrauen.

Wie vernetzen Sie sich mit den interessierten Kolleginnen und Kollegen an den Transferschulen?

Kühne: Mit unseren Transferschulen stehen wir in regelmäßigem Kontakt. Das geschieht im kleinen Saarland quasi von selbst, weil wir uns gleich in mehreren Netzwerken verschiedener Förderprogramme begegnen. Dadurch kennen wir uns gut und führen einen unkomplizierten E-Mail-Kontakt miteinander.

Derzeit entwickeln unsere Transferschulen eigene Experimentierboxen und wir beraten sie dabei. Das ist zwar nicht immer einfach, weil wir für die Primarstufe gearbeitet haben, aber unsere Transferschulen ausschließlich weiterführende Schulen sind. Deshalb verfolgen sie einen anderen Lehrplan und müssen auch komplexere Versuchsanordnungen berücksichtigen. Aber trotzdem ist der persönliche Erfahrungsaustausch gewinnbringend. Im Juni haben wir zuletzt den Entwicklungsstand der neuen Experimentierboxen ausgetauscht und offene Fragen dazu besprochen.

Inzwischen interessieren sich weiterführende Schulen generell stärker für offene Konzepte. Und eigentlich haben gerade sie viele Möglichkeiten, das offene Experimentieren im Unterricht umzusetzen, weil sie mit ganz anderen Materialien arbeiten können und häufig über Räumlichkeiten verfügen, die eigens für das Experimentieren ausgestattet sind.

Von Professor Markus Peschel und seinen Mitarbeitenden der Universität des Saarlandes werden wir noch unterstützende Angebote zur Arbeit im Netzwerk erhalten, worauf ich mich sehr freue. Außerdem planen wir Hospitationen, an denen wir Lehrpersonen uns gegenseitig an den Schulen besuchen und so auch erleben dürfen, wie die anderen ihre Experimentierboxen anwenden.

Abschließend werfen wir noch einen Blick auf die Wirkung des Transfers: Was begeistert Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen daran, offen zu experimentieren?

Kühne: Wenn Lehrerinnen und Lehrer einmal gesehen haben, wie vertieft Kinder und Jugendliche mit richtigem Forschermaterial experimentieren und mit welch tollen Ergebnissen sie selbständig arbeiten, dann wünschen sie sich eine Experimentierbox für jedes Unterrichtsthema. Vor allem wenn sie merken, dass sich auch die sonst eher stillen Kinder viel mehr zutrauen.

Eine sonst ruhige Schülerin hat sich beim offenen Experimentieren in eine völlig neue Rolle begeben und die übrigen Kinder an ihrem Tisch beraten und die Führung der Gruppe übernommen. Das hätte ihre Lehrerin gar nicht von ihr erwartet und ihr selbst hat das sehr viel Selbstbewusstsein gegeben. Die Schülerinnen und Schüler wachsen beim offenen Experimentieren förmlich über sich hinaus. Das ist nicht nur für sie, sondern auch für uns Lehrpersonen schön. Einmal hat sich eine Klasse nach einer Vertretungsstunde sogar für den tollen Unterricht bedankt. Sowas ist wirklich wertschätzend und für alle sehr motivierend.

Frau Kühne, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Lehrerin Jennifer Kühne

Jennifer Kühne hat Lehramt für Deutsch und Gesellschaftswissenschaften sowie Kunstgeschichte an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken studiert. Seit 2016 ist sie Lehrerin an der Offenen Ganztagsgrundschule Saarbrücken-Weyersberg (Saarland) und ist dort vor allem als Förderlehrerin im Bereich Hochbegabung sowie als Kunstlehrerin tätig.